Maedchenjagd
zu bringen, sich umzudrehen. Statt sich hinunterzubeugen und die Aktentasche und ihre Handtasche abzustellen, ließ sie beide mit einem dumpfen Schlag auf den Boden fallen. Der Aufprall wurde von den Geräuschen in der Bar verschluckt, und Fowler wandte sich noch immer nicht um. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an. »Wo ist die Kellnerin?«, fragte sie Duffy und beschloss, doch nur ein Glas Wein zu bestellen. Sie wollte nicht, dass Fowler sah, wie sie Schnapsgläser voll Tequila hinunterstürzte wie ein Rockstar. Doch es war zu spät. Duffy hatte schon bestellt.
»Ich bin ein Opfer des großen, von Butler inszenierten Stühlerückens«, sagte Duffy und stützte seine Ellbogen auf den Tisch.
Seine Worte zogen an ihr vorbei, und wieder wanderten ihre Gedanken zu Fowler. In den vergangenen zwei Wochen hatte er mit ihr gearbeitet und sie auf den neuen Job vorbereitet, um die Umstellung vom einen zum anderen Vorgesetzten so reibungslos wie möglich zu machen. Er war groß, wohl mehr als eins neunzig, mit dem schlanken, zähen Körper eines Läufers. Seine Haare und die Augen waren dunkel und bildeten einen scharfen Kontrast zu seiner blassen Haut. Jede Bewegung seines langen Körpers und der langen Beine war lautlos, fließend und geschmeidig wie bei einer Raubkatze, die zum Sprung auf ihr ahnungsloses Opfer bereit war. Er bewegte sich so, wie Lily sich bewegen wollte. Und er bewegte Lily.
Er bemerkte sie und kam auf sie zu. Als die Kellnerin mit den Getränken auftauchte, nahm er die Margarita vom Tablett und sah Lily an. Sie nickte. Dann bemerkte er das Schnapsglas und blickte sie wieder an. »Deins?«, fragte er.
»Nein … doch … ich …« Sie errötete. Sie stammelte wie ein Idiot. Es war Fowler, der das verursachte. »Es war ein blöder Tag. Ich dachte, ich könnte ihn vielleicht runterspülen.«
Während er die beiden Gläser auf dem Tisch absetzte, rückte er nah an sie heran und stellte sich vor Duffy. Eine Wolke seines Rasierwassers zog ihr in die Nase, ein Hauch von Limette. Seit zwei Wochen schon atmete sie den Duft ein und hatte sogar festgestellt, dass er in ihren Kleidern hing wie Zigarettengeruch, wenn man mit einem Raucher zusammenarbeitete.
»Ein Schnaps?«, sagte er und hob einen Mundwinkel zu einem Lächeln. »War die Woche wirklich so schlimm?«
»Nein, du warst wunderbar, Richard. Ich habe dir doch von der Urteilsverkündung heute erzählt, oder? Du weißt schon, der Herzallerliebste, der meint, das Leben sei so etwas wie eine Armbanduhr.«
»Du meinst den mit der Tracht Prügel? Nun, irgendwie ist es ja süß, nicht? Der Kerl könnte Komiker werden, wenn er wieder draußen ist.«
Der Angeklagte, über den sie sprachen, hatte einem Fremden im Park sechs Kugeln verpasst. Als die Polizei ihn fragte, warum er immer weitergeschossen hatte, obwohl das Opfer offensichtlich längst tot gewesen war, hatte er geantwortet: »Er hat eine Tracht Prügel eingesteckt, aber er hat trotzdem weitergetickt.«
»Das ist ja das Problem«, sagte Lily. »Jemand verübt einen Mord und ist nach wenigen Jahren zurück auf der Straße, um es gleich noch mal zu tun. Es macht mich ganz krank. Daran kann man sich einfach nicht gewöhnen, egal, wie oft man es erlebt.« Sie erblickte die Kellnerin und beugte sich zu ihrer Handtasche hinunter, um nach dem Geldbeutel zu suchen. »Lass mich einen Drink ausgeben.«
»Die Kellnerin ist weg. Das nächste Mal, wenn du darauf bestehst.«
Er war ihr so nah, dass sich ihre Hüften berührten. Lily kippte das kleine Glas Tequila auf einmal hinunter, trank einen Schluck von der Margarita hinterher und leckte sich das Salz von den Lippen. Je näher er ihr kam, desto nervöser wurde sie. Sie klang wie ein Frischling, der noch nie einen Mord verhandelt hatte.
»Erinnerst du dich an die letzte Party, auf der wir beide waren? Ich tu’s«, sagte er. »Du hast dieses weiße rückenfreie Kleid getragen, und dein Haar war offen und bedeckte deinen ganzen Rücken. Du hast umwerfend ausgesehen.«
»Die letzte Party war ein Grillfest bei Dennis O’Connor und ist mehr als fünf Jahre her. Wenn ich mich nicht täusche, trugst du Jeans und einen blauen Pullover.«
Ihre Blicke trafen sich, und er weigerte sich wegzuschauen, forschend und neugierig auf Dinge, die ihn nichts angingen. Der Tequila brannte ihr in der Kehle, und sie fühlte sich unwohl. Sie nahm das kalte Glas und presste es an ihre Wange. »Ich muss mal telefonieren. Pass bitte auf meine Aktentasche auf, okay?« Sie wandte
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