Maedchenjagd
der Gründe, warum sie immer länger im Büro blieb. Da John vor dem Fernseher fläzte und Shana jeden Abend in ihrem Zimmer hinter verschlossener Tür am Telefon verbrachte, gab es keinen zwingenden Anlass, nach Hause zu gehen. »Sag ihm, dass ich in einer Sitzung stecke und in ein paar Stunden nach Hause komme.«
»Sag’s ihm doch selbst.«
»Ich hab dich lieb«, flüsterte Lily und hörte das Telefon klicken, als Shana in die andere Leitung wechselte. Sie hatte das bezaubernde Gesicht ihrer Tochter vor Augen und versuchte, es mit dem Tonfall ihrer Stimme in Einklang zu bringen. Ihr Kind, ihr wunderbares kleines Mädchen, wurde grob und unausstehlich. Sie hatte einfach aufgelegt. Vor ein paar Jahren noch hatte Shana stundenlang vor Lilys Füßen am Boden gesessen und hatte an ihren Lippen gehangen, mit strahlendem, fröhlichem Gesicht. Jetzt redete sie mit ihr wie mit einem Hund und legte einfach auf. Hätte Lily sich ihrem Vater gegenüber so verhalten, hätte er ihr eine ordentliche Backpfeife verpasst. John aber sagte, dass diese Zeiten vorbei waren und Kinder das Recht hatten, zu widersprechen. Und Shana vergötterte ihren Vater.
Lily war schon dabei, John anzurufen, entschied sich dann aber dagegen und schloss ihre Handtasche. Sie würde sich beklagen, dass Shana telefonierte statt ihre Hausaufgaben zu machen, sie würde sich nicht bremsen können. Sie konnte nicht anders. John würde auflegen, in Shanas Zimmer marschieren und ihr sagen, dass ihre Mutter meinte, sie solle aufhören zu telefonieren. Es sei aber okay, er würde nicht petzen. Womöglich würde er noch sagen, dass ihre Mutter ihr aufgetragen hatte, das Zimmer aufzuräumen. Das käme ganz bestimmt gut an. Wenn das noch nicht ausreichte, um Shana gegen sie aufzubringen, könnte er sie daran erinnern, dass Lily einmal gesagt hatte, sie würde wohl als Kellnerin enden, weil sie viel zu faul war, um es jemals aufs College zu schaffen. Es war eine dieser spontanen Bemerkungen gewesen, die ein Elternteil dem anderen gegenüber äußerte, und nicht dazu gedacht, sie vor einem Kind zu wiederholen. Doch John hatte die Bemerkung wiederholt und eine Menge anderer Dinge gesagt, die rundweg gelogen waren.
Er war ein begnadeter Manipulator, dachte Lily auf dem Weg zurück in die lärmige Bar, während sie ihren Rock geradezog und ihren Büstenhalter nach oben schob. Er hätte Stafverteidiger werden sollen. Oder, noch besser, Scheidungsanwalt.
Am Tisch fand sie eine frische Margarita, einen weiteren Tequila und Richard Fowler vor. Sie kippte den Schnaps hinunter und nahm einen Schluck von ihrer Margarita, wobei sie ihr Haar verführerisch über ein Auge fallen ließ und Fowlers Gestalt von Kopf bis Fuß in sich aufnahm. Vor ihr stand ein entschlossener Mann, ein Mann mit Überzeugungen, ein Kämpfer. Kein Mann, der im Streit ein Kind als Schutzschild missbrauchte. Fowler würde sich nicht mit einem mittelmäßigen Verwaltungsjob zufriedengeben, wenn seine Arbeitszeit auf dreißig Wochenstunden reduziert worden wäre und seine Frau die ganze Verantwortung für die Familie tragen müsste, während er in der Küche herumhantierte. Er war kein Schlappschwanz wie John.
Silversteins New Yorker Akzent klang vom Nebentisch herüber, wo er händeweise Popcorn futterte und gleichzeitig zu sprechen versuchte. Er klagte über einen Fall, während einige Körner auf seinen Kleidern und dem Boden landeten. Duffy war offenbar gegangen.
»Dein Haar sieht fantastisch aus«, sagte Richard. »Ich wusste nicht, dass es noch immer so lang ist. Bei der Arbeit trägst du es nie offen.« Er streckte seine Hand aus und berührte eine Strähne, zwirbelte sie zwischen seinen Fingern.
»Ich weiß, es wirkt nicht so professionell. Keine Ahnung, warum ich es nicht abschneide. Vermutlich will ich einfach an meiner Jugend festhalten.« Er raubte ihr den Atem. Er war ihr so nah.
Fowler zog seine Hand zurück. Lily wollte nach ihr greifen und sie wieder auf ihr Haar legen, noch einmal die Spannung spüren, seine Finger auf ihrem Gesicht, ihrer Haut. Aber der Moment war vorbei. Sie bemerkten Lawrence Bodenham, einen Rechtsanwalt, am anderen Ende der Bar. Er steuerte auf Lily zu. Der letzte Schrei unter freiberuflichen Anwälten waren lange Haare, fast bis zur Schulter. Bodenhams Haare lockten sich an den Spitzen. Er erreichte den Tisch und streckte seine Hand aus.
»Lawrence Bodenham«, sagte er. »Sie sind Lily Forrester, nicht wahr?«
»Richtig«, antwortete sie und spürte den
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