Maedchenlose
beherrschen lernen. – Was darf ich Nora von dir sagen?«
»Lade sie vorläufig für eine Woche ein, dann wollen wir weiter sehen. Ich werde Nora gern bei uns haben, sie ist ein liebenswürdiges Mädchen, klug und bescheiden, und von ihrem feinen ruhigen Wesen kannst du manches lernen.«
»Ich danke dir, liebe Mama«, sagte Elly aufrichtig erfreut; »lebe wohl für jetzt, ich eile zu Nora hinüber,«
Die alte Köchin, die schon seit vielen Jahren im DiethelmschenHause diente, öffnete auf Ellys Klingeln die Thür; dicke Thränen standen in ihren treuen Augen, als sie redselig wie immer ausrief: »Ach, Fräulein Ellychen, wie schön, daß Sie kommen, ich weiß auch gar nicht mehr, was ich mit unserem Fräuleinchen anfangen soll; seit die gnädige Frau abgereist ist, hat sie nichts gethan als geweint und geschluchzt, daß es einen Stein erbarmen könnte, kein Täßchen Kaffee will sie trinken und kein Semmelchen essen, und ich habe doch schon die feinsten geholt, die sie sonst so gern hat, und habe ihr so viel zugeredet und sie gebeten, sie möchte sich doch nicht unglücklich machen; ach, unser Norachen wird uns gewiß noch krank zu all dem Leid, was wir so schon haben, und die gnädige Frau hat sie mir doch so auf die Seele gebunden und gesagt, ich sollte gut für sie sorgen, solange sie noch hier im Hause ist.«
Auch Ellys Augen füllten sich mit stets bereiten Thränen, als sie diesen Bericht geduldig anhörte. »Wo ist Nora?« fragte sie.
»Sie liegt in der Vorderstube auf dem Sofachen, und zuerst hat sie gestöhnt und geschluchzt, daß man's ein paar Stuben weit hören konnte, aber nachher ist sie ganz still geworden und hat nur immer geweint, geweint, und jedesmal, wenn ich zu ihr kam, waren ihre Äugchen röter und dicker und das liebe Gesichtchen blasser, ach Gott, unser armes Norachen, wenn sie uns nur nicht krank wird!«
»Lassen Sie mich allein zu ihr gehen, Mina,« bat Elly, »sie würde erschrecken, wenn wir plötzlich alle beide vor ihr ständen.«
»Ja, ja, Fräulein Ellychen, gehen Sie nur und sehen Sie zu, was Sie thun können, ich habe schon alles umsonst versucht. Und reden Sie ihr zu, ein Täßchen Kaffee zu trinken, denn Essen und Trinken hält Leib und Seel' zusammen, und essen muß der Mensch, auch wenn er traurig ist, ich hab' ihn auch auf Spiritus gestellt, damit er hübsch warm bleibt.«
Mit beklommenem Herzen öffnete Elly die Thür des Wohnzimmers und trat mit zögernden Schritten näher, denn die Jugend hat immer eine Scheu, mit einem großen Schmerz in Berührung zu treten, wie warm und aufrichtig auch die Teilnahme sei, die sie dafür empfindet. Nora lag auf dem Sofa, aber sie rührte sich nicht, um die Freundin zu begrüßen; nach einer schlaflosen Nacht, nach der heftigen Erregung des Morgens hatte sie sich endlich in Schlaf geweint. Leise trat Elly zu ihr heran, – war das wirklich ihre Nora? das verwirrte Haar, die schweren, von Thränen geröteten Lider, der halb vollendete Anzug – das alles entsprach so wenig der sonstigen zierlichen Erscheinung und gab ein solches Bild bittern, selbstvergessenen Kummers, daß Elly davon vollständig überwältigt wurde; sie sank neben dem Sofa auf die Kniee, legte ihren Kopf auf die Hände der Freundin und rief schluchzend: »Meine arme, arme Nora! o Gott im Himmel, hilf ihr und mache sie wieder froh!«
Nora erwachte und schaute mit einem trüben, müden Blick um sich: »Du hier, Elly?« fragte sie erstaunt. Sie richtete sich auf, aber nun kam auch das Gefühl ihrer Verlassenheit, die Erinnerung an den schmerzvollen Abschiedvon ihrer Mutter über sie, sie verbarg ihr Gesicht wieder in den Kissen und rief jammernd: »O Elly, wenn ich lieber nie wieder erwacht wäre! wenn ich mein Herzeleid für immer hätte verschlafen können!«
Was konnte Elly thun, als mit ihr weinen? Sie saßen eng aneinandergeschmiegt, wie zwei Vögel auf einem Zweig, und ließen ihre Thränen zusammen fließen, bis sich endlich die Gewalt des Kummers erschöpfte und der Strom versiegte. Die alte Mine, die nach einer Stunde hereintrat und den Kaffee immer noch unberührt auf der Spirituslampe fand, erhielt von Ellys Überredungskünsten keinen höhern Begriff, als von ihren eigenen, und wurde ordentlich böse auf ihr »Fräuleinchen«, das sich gar nichts sagen lassen wollte und auf keinen verständigen Menschen hörte. Die Natur machte endlich ihr Recht geltend, Nora ließ sich bereden zu frühstücken und fühlte sich kräftiger danach. Sie bat Elly, sie jetzt
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