Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Maedchenlose

Titel: Maedchenlose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Augusti
Vom Netzwerk:
Zeit ein Ende nehmen solle, sie hätte am liebsten die ganze Reise aufgegeben, der sie doch früher mit brennender Sehnsucht entgegengesehen hatte. Nora schritt ernst und still umher, ihr war sehr weh ums Herz bei dem Scheiden aus diesem lieben Kreise, in dem sie vollständig wie eine Tochter und Schwester behandelt worden war; sie kam sich vor, wie ein losgerissenes Blatt, das vom Winde hin und her gewirbelt wird. Täglich erwartete sie den Bescheid ihrer Tante, wann ihr Kommen jener passend sei, aber ihr bangte vor dem Eintritt in ein Haus, das trotz der nahen Verwandtschaft ihr doch ganz fremd war. Doch wenn sie klagen wollte, dann trat das milde, freundliche Bild der Tante Cäcilie vor ihre Seele, und sieschämte sich ihres Kleinmutes; sie besaß ja noch alle ihre Lieben, die teuren Eltern, die lieben treuen Freunde, und all diese Trennungen sollten doch nur eine kurze Zeit dauern.
    Eines Tages, als Elly in einer Lehrstunde und Nora mit Frau v. Mansfeld allein im Zimmer war, brachte der Diener mehrere Briefe, von denen er einen dem Fräulein überreichte. Sie erkannte die Handschrift ihrer Tante, aber als sie ihn las, entfuhr ihr ein Ausruf des Schreckens, und mit einem tiefen Seufzer ließ sie das Blatt fallen. »Was ist Ihnen, liebe Nora?« fragte Frau von Mansfeld und fügte, als sie die Blässe des jungen Mädchens bemerkte, teilnehmend hinzu: »Ich hoffe, Sie haben keine schlechte Nachricht von Ihren Eltern erhalten?«
    »Der Brief ist von meiner Tante – sie schreibt, daß ihre verheiratete Tochter ernstlich erkrankt sei, sie müsse augenblicklich zu ihr reisen – auf unbestimmte Zeit – und könne mich daher ......« Große Thränen füllten Noras Augen, die Stimme versagte ihr.
    »Und könne Sie daher nicht bei sich aufnehmen«, ergänzte die andere. »Das ist in diesem Augenblick störend, aber seien Sie unbesorgt, es wird sich schon ein Unterkommen für Sie finden. Haben Sie sonst keine Verwandten?«
    »Keine«, war die Antwort. »Papa hat nur noch diese einzige Schwester, und Mama hatte nie Geschwister.«
    Frau v. Mansfeld überlegte eine Weile, dann sagte sie bedächtig: »Ich habe eben einen Brief erhalten, der mir zuerst zu sehr unrechter Zeit zu kommen schien, der unsaber vielleicht einen passenden Ausweg aus diesem Dilemma eröffnen könnte. Meine Cousine, eine liebenswürdige junge Frau, bittet mich, ihr ein junges Mädchen vorzuschlagen, das sich, gewissermaßen wie eine ältere Schwester, ihrer sechsjährigen Erna annehmen möchte. Die Betreffende soll aus guter Familie, von feinem Benehmen und so gebildet sein, um den ersten Unterricht zu erteilen, jung genug, um an dem Umgange mit dem Kinde selbst Gefallen zu finden, und so zuverlässig, daß Frau von Westheim ihr dasselbe ohne Sorge überlassen kann, wenn ihre geselligen Pflichten sie in Anspruch nehmen. Das sind keine leichten Bedingungen, doch in Ihnen, liebe Nora, fänden sich alle vereinigt. Überlegen Sie daher, ob Sie geneigt wären, diese Stellung zu übernehmen.«
    Eine heiße Röte war in Noras Wangen emporgestiegen, doch bezwang sie sich und erwiderte nur zögernd: »Ich weiß nicht, ob ich mich ohne Wissen meiner Eltern so binden darf, – wenn sie zurückkehren, würden sie mich sogleich bei sich zu haben wünschen.«
    »Diese Umstände würde ich meiner Cousine klar legen«, entgegnete Frau von Mansfeld; »überhaupt bin ich gewiß, daß sie sich wie eine Mutter Ihrer annehmen und für all Ihre Bedürfnisse sorgen würde. Denken Sie ruhig über die ganze Sache nach, mein liebes Kind, sie bietet Ihnen viele Vorteile, doch haben wir keine Zeit zu verlieren, und ich muß noch heute Ihre Entscheidung haben.«
    Nora küßte Frau v. Mansfeld die Hand und eilte aus dem Zimmer; heiße Thränen stürzten aus ihren Augen.»O Gott,« schluchzte sie, »stehe ich denn so ganz allein in der Welt, daß man mich willenlos hin- und herstoßen und unter wildfremde Menschen schicken kann? Vater, Mutter, warum habt ihr euer Kind verlassen, warum sorgt ihr nicht mehr für mich? ach, ich bin eurer Liebe, eurer Fürsorge so bedürftig!«
    Sie strengte ihre Gedanken an, um einen Menschen zu finden, an den sie sich in ihrer Not wenden könnte; sie dachte an den Geistlichen, der sie eingesegnet und ihr so viel väterliches Wohlwollen bewiesen hatte, an Tante Cäciliens liebevolle Teilnahme – aber es schien ihr undankbar gegen Frau v. Mansfeld, einen andern Rat als den ihrigen zu suchen. Sie konnte auch nicht an ihre Mutter schreiben, denn ehe deren

Weitere Kostenlose Bücher