Maedchenlose
Trübsal! Als unser lieber Prediger mir diese Worte zurief, da schienen sie mir vom Himmel zu kommen, und es kam zugleich eine frohe Zuversicht über mich, daß der liebe Papa gesund und wohlbehalten heimkehren werde, wenn wir nur nicht aufhören, für ihn zu beten und sein Kommen geduldig zu erwarten.«
»Du hast recht, meine geliebte Nora,« sagte Frau Diethelm, indem sie die Arme um die Tochter schlang und das erglühende Antlitz des Mädchens mit tiefer Zärtlichkeit küßte, »habe Geduld mit meiner Schwäche, du mußt jetzt mehr als je meine Stütze und mein Trost sein.«
Zweites Kapitel.
Frühlingsfahrt.
Einige Tage waren vergangen; auf die Einsegnung war die Feier der ersten Kommunion gefolgt, und nach so vielen erhebenden Stunden hatte das Leben wieder in die gewohnten alltäglichen Bahnen eingelenkt. – In Noras Stübchen saßen die beiden Freundinnen in eifrigem Gespräch beisammen.
»Meine Nora,« sagte Elly in klagendem Ton, »ich ertrage es gar nicht mehr, dich und deine liebe Mama immer so traurig und voll Sorge zu sehen. O, warum muß es so viel Trübsal in der Welt geben? Wenn ich der liebe Gott wäre, ich würde meine Menschenkinder durch lauter Güte erziehen und ihnen so viele köstliche Gaben in den Schoß schütten, daß sie wohl gut und dankbar sein müßten.
»Du vergißt, liebe Elly, die beiden Aussprüche, die uns Dr. N. so oft zu hören gab:
Nichts ist schwerer zu ertragen,
Als eine Reihe von guten Tagen,
und: Ein Leben voller Blütentage paßt nur für Engel.«»Ich habe den Mut, ihre Wahrheit trotz häufiger Wiederholung zu bezweifeln. Ich, obgleich sicher kein Engel, bin nie so zu allem Guten aufgelegt, als wenn ich von Herzen fröhlich bin.«
»Vielleicht bist du nie so fröhlich, als wenn du recht von Herzen gut bist.«
»O, du kluge Nora!« rief Elly aufspringend und der Freundin um den Hals fallend, »wo hast du nur all deine Weisheit her? Du bist doch kaum ein Jahr älter als ich, und doch komme ich mir, dir gegenüber, vor wie ein dummes, unerfahrenes Kind.«
»Meine Weisheit ist leider nicht der Rede wert,« entgegnete Nora, halb seufzend, halb lachend, »ebensowenig, wie deine Dummheit. Und doch wünschte ich mir gerade jetzt recht viel Verstand, um meine arme Mutter in dieser schrecklichen Ungewißheit zu trösten und mir Mittel und Wege auszudenken, um diesem Zustand ein Ende zu machen.«
»Wie lange ist es nun schon her, seit ihr deines Vaters letzten Brief erhieltet?«
»Schon fünf Wochen. Damals war er in Hamburg, aber er wußte selbst noch nicht, ob er nicht nach England, vielleicht gar nach Amerika würde reisen müssen. Immer neue Verwicklungen fanden sich, die ihm die Unredlichkeit seines Buchhalters bereitet hatte, überall waren die Geschäfte in Unordnung, und nur seine persönliche Anwesenheit konnte dem abhelfen. Der arme Papa! welch eine freudlose, unerquickliche Zeit muß auch er durchleben!«
»Wie schrecklich zu denken,« rief Elly, »daß vielleicht dasWeltmeer zwischen dir und deinem Vater liegt! Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, mich je so weit von meinem lieben alten Papa zu trennen!«
»Ich fürchte, das Leben ist dazu angethan, uns vieles ertragen zu lehren, was uns zuerst unmöglich erschien,« meinte Nora nachdenklich. »Selbst meine zarte Mama, die bei Tag und Nacht keine Ruhe findet, steht doch noch immer aufrecht da, obgleich ich sie täglich bleicher und schmaler finde. O, es ist schwer, sie so bitter leiden zu sehen und nichts dabei thun zu können!«
Ein minutenlanges Schweigen folgte; Elly stand auf, um zu gehen. »Also darf ich wirklich nicht hoffen, dich morgen unter uns zu sehen, Nora? vielleicht würde eine kleine Zerstreuung dir gut thun.«
»Ich kann es nicht versprechen, liebe Elly, ich kann meine Mutter nicht verlassen, solange sie in so banger Sorge ist und jeder Augenblick uns irgend eine trübe Nachricht bringen kann. Nicht wahr, das siehst du ein?«
»Ich muß wohl,« seufzte Elly, »ich bin doch nicht dumm genug, um deine Liebe und Pflichttreue nicht zu begreifen. Lebewohl, mein geliebtes Herz, Gott gebe euch bald, bald eine frohe Kunde!« –
Als Elly gegangen war, suchte Nora ihre Mutter auf und fand sie eifrig beschäftigt an einem ihrer Schränke. »Was machst du, liebe Mama? darf ich dir helfen?« fragte Nora.
»Ich suche mein ganzes Haus für eine längere Abwesenheit zu bestellen, damit, wenn der Vater mich ruft,ich zu ihm eilen kann, ohne Zeit mit Vorbereitungen zu verlieren. Ich habe eine
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