Maedchenlose
Hände, »dir sei verziehen, Vetter, obgleich du mit der Orthographie sehr souverän verfährst.«
Lautes Rufen von unten unterbrach die Unterhaltung; in atemloser Eile erschien der Knabe des Pförtners auf der Höhe und meldete, die Damen warteten schon lange am Fuße des Berges, es sei hohe Zeit, zum Bahnhof aufzubrechen. Erschrocken sprangen alle auf, und in lustigem Rennen ging es bergab. In wenigen Minuten stand die kleine Schar vor Frau v. Mansfeld, welche dem atemlosen Lauf mit mißbilligenden Blicken zugesehen hatte. »Beruhigt euch, ihr wilden Kinder,« flüsterte sie den Mädchen zu; »ich wünsche doch, daß wir alle einen civilisierten Eindruck machen.«
Nur zu bald war der Bahnhof erreicht, nur zu schnell führte der sausende Zug die Gesellschaft wieder in die Stadt zurück. Alle geleiteten Nora bis an die Thür ihres elterlichen Hauses, mit den wärmsten Dankesworten nahm sie Abschied und flog leichtbeschwingt die Treppe hinauf. Sie fühlte sich so froh, so glücklich, vielleicht gelang es ihr wirklich, der trauernden Mutter einen Hauch von Frühlingslust und Hoffnungsfreudigkeit mitzubringen.
Drittes Kapitel.
Trübe Zeit.
Als Nora die Thür des Wohnzimmers öffnete, blieb sie betroffen stehen und blickte mit Überraschung auf die Spuren einer ungewohnten Thätigkeit; Koffer und Schachteln standen in der Mitte, Kleider und Wäschestücke lagen auf danebenstehenden Stühlen. Ihr Herz fing heftig an zu klopfen, was konnte dies bedeuten? In diesem Augenblick erschien ihre Mutter auf der Schwelle des andern Zimmers: »Nora,« rief sie schmerzlich und streckte die Hände nach ihr aus, dann aber schienen ihre Kräfte sie zu verlassen, sie sank auf den nächsten Stuhl und verhüllte ihr Gesicht. Nora flog an ihre Seite, kniete neben ihr nieder und schlang die Arme um sie. »Meine liebe süße Mama,« rief sie unter Thränen, »was ist geschehen? hast du Nachricht vom Papa erhalten?« Frau Diethelm nickte.
»So lebt er? Gott sei Dank! aber ist er krank? reisen wir zu ihm?«
»Sehr, sehr krank, mein Kind; schon vierzehn Tage hat er besinnungslos in einem Hospital in England gelegen, erst jetzt hat man meine Adresse erkunden können. Der Arztschreibt, es könne noch Monate dauern, bis er wiederhergestellt sein wird, aber er hofft, daß die Gefahr für sein Leben vorüber sei.«
»O Mama, wie wollen wir ihn hegen und pflegen, wenn wir erst bei ihm sind! Wann brechen wir auf?«
»Ich reise morgen früh, meine Vorbereitungen sind beinahe fertig, aber dich – dich kann ich nicht mit nehmen.«
»Mutter,« schrie Nora in heftigem Schmerze auf, »das kann nicht sein, du kannst mich in dieser Zeit nicht von dir schicken! O ich will so gut und verständig sein, ich will dir helfen und dich stützen, wie könntest du auch Tag und Nacht an Papas Krankenbett aushalten, du mußt eine Hilfe, eine Ablösung haben .....«
»Meine Nora,« sagte Frau Diethelm, indem sie mit tiefem Ernst und unsäglicher Zärtlichkeit in das erregte Antlitz der Tochter blickte, »es gäbe für mich keinen größern Trost in dieser großen Not, als deine liebe Nähe, und niemand würde es so gut verstehen, wie du, deinen Vater zu erheitern und zu zerstreuen, wenn die langsame Genesung schwer auf ihn drücken wird. Und doch kann und darf es nicht sein, daß du mich begleitest. Sieh, mein Kind, wir haben bisher nie eine Sorge gekannt, wir haben stets in Fülle gehabt, was wir bedurften. Aber ich fürchte, daß durch die Unredlichkeit des Buchhalters unsere Verhältnisse schwer erschüttert sind und daß diese lange Krankheit deines Vaters uns auch äußerlich unermeßlichen Schaden bringt. Von der Summe, die er mir bei seinerAbreise zurückließ, ist schon ein bedeutender Teil verbraucht; was übrig ist, muß ich aufs äußerste zu Rate halten, denn viel Geld werde ich noch nötig haben, bis wir heimkehren, bis des Vaters Geschäfte wieder in Gang kommen werden. Du bist noch zu jung gewesen, mein liebes Kind, als daß ich dich mit solchen Verhältnissen schon früher hätte bekannt machen sollen, aber jetzt ist es nicht mehr an der Zeit, etwas vor dir zu verhehlen. Verstehst du mich, meine Nora?«
Gespannt hatte diese den Worten der Mutter gelauscht, jetzt verbarg sie das Gesicht schluchzend in ihrem Schoß. »Ich verstehe,« sagte sie leise, »o Mutter, Mutter, es ist schwer zu tragen!«
»Sehr schwer, sehr bitter! aber gedenke deines Einsegnungsspruches: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet! Dich trifft
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