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Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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man nur mit Schlüssel. Ich tue so lange so, als ob ich meinen Schlüssel umständlich in der Tasche suche (Nelson macht dabei den »Ach, Mädels und ihre Handtaschen«-Blick), bis ein neuer Badegast kommt, aufschließt und uns mit reinlässt. Wir legen uns in den Schatten und reden kaum. Nelsons Mitgefühl drückt sich darin aus, dass er eine Dreiviertelstunde lang zuhört, mich reden lässt, nur für kurze Zwischenfragen unterbricht und am Ende keinen Ratschlag erteilt, sondern einfach nur nickt und mir bestätigt: »Das ist scheiße.«
    Mehr brauche ich nicht. Denn mit Ratschlägen kann ich nicht viel anfangen. Ich weiß immer um alle Möglichkeiten, die ich habe, muss mich nur noch entscheiden. Man muss mir nicht sagen, dass meine Trennung von Philipp das einzig Richtige war und dass es kein Wunder ist, dass es mir nicht besonders gut geht, wenn ich arbeitslos in einer Therapie an meinen Ängsten kratze. Ich weiß das alles, und Nelson weiß, dass ich es weiß. Ich weiß, dass das seine Art der Umarmung ist, und er weiß, dass ich es weiß.
    Da liegen wir also beide rum, auf unserer gemeinsamen Wellenlänge, und können jetzt daran arbeiten, mich abzulenken.

Ich habe mir eine perfekte Antischmerzchoreographie zusammengebastelt: Ich kann nicht besonders lange schlafen, daher muss ich, sobald ich wach bin, umgehend das Bett und das Haus verlassen, wie gesagt: Morgenstund hat Mist im Mund. Ich erledige viel Liegengebliebenes, lasse meinen Reisepass verlängern, übernehme Vormittagsschichten in der Kneipe (gedankt sei der Erfindung des Brunches) und gehe oft in den Baumarkt. Dort vergesse ich immer absichtlich einige Sachen meiner Einkaufsliste. Ach, wie doof, ich habe vergessen, Nägel bei OBI zu kaufen. Na ja, fahr ich eben morgen nochmal hin, bringt ja nichts. Ich habe auch schon versucht, tagsüber auf dem Sofa zu schlafen, um Zeit wegzuschummeln. Leider macht das alles viel schlimmer. Sobald ich liege und döse, werden die Schmerzen stärker, und die Traurigkeit legt sich so schwer auf meine Brust, dass ich mit Herzrasen aufwache und sofort wieder raus muss. Ich treffe viele Freunde und Bekannte, erzähle stolz von meiner Trennung und der Therapie und dass es besser nicht hätte kommen können, natürlich täte es weh, aber das seien heilende Schmerzen. Wird schon wieder, alles halb so schlimm, und was gibt es bei
dir
eigentlich Neues?
    Ich bringe die Zeit rum, bin stolz und erschöpft am Ende des Tages und völlig aufs Neue zerstört am Anfang des nächsten.
    Ich bin permanent unruhig und gleichzeitig schwach. Ich zappele mehr denn je mit allen möglichen Körperteilen und bin sehr müde. Ich schlafe schließlich doch auch tagsüber, obwohl es mir überhaupt nicht gut tut, einfach weil ich nicht anders kann. Für einen weiteren Seeausflug möchte ich ein paar Sachen zusammenpacken und gebe mittendrin auf. Kann mich nicht mehr auf den Beinen halten. Ich lege mich ins Bett und komme nicht mehr hoch, als wenn mich jemand festhalten würde, starre die ungepackte Tasche an und denke: Wow. Mehr nicht. Nur: Wow.
    Langsam mache ich mir Sorgen und google meine Symptome. Jaja, soll man nicht machen, weiß ich auch. Trotzdem: Antriebslosigkeit, Müdigkeit, starke innere Unruhe und Stimmungsschwankungen sind angeblich klare Anzeichen für eine Depression. Ich mache sogar einen halbgaren Online-Test, der mir erklärt, dass ich eine mittelschwere depressive Verstimmung habe. Soso. Aha. Nun ja. Man wird ja wohl noch ein bisschen traurig sein können, ohne direkt eine Depression zu haben, nicht wahr? Vermutlich ist der Test eine dieser Verschwörungen der Pharmaindustrie. Die wollen nur, dass ich ihre Tabletten esse. Aber nicht mit mir, ich kann Liebeskummer sehr wohl von einer Krankheit der Psyche unterscheiden.
    Ich verschiebe den Ausflug an den See. Ich kriege einfach diese verdammte Tasche nicht gepackt.
    Außerdem bin ich so müde.

Ich kaufe Saugnapfhandtuchhalter im Baumarkt. Hatte ich ja das letzte Mal vergessen. So beschäftigt, wie ich immer bin, kein Wunder. Ich nehme mir ausreichend Zeit, zwischen den weißen aus Plastik und den metallfarbenen, auch aus Plastik, zu entscheiden. So etwas will wohlüberlegt sein, schließlich sind meine Handtücher weiß, meine Armaturen hingegen aus Edelstahl. Zum Bad im Allgemeinen würde also beides passen. Aber was ist besser für die Handtücher im Speziellen? Weißes Plastik sieht immer ziemlich billig aus, aber metallfarben ist ein allzu offensichtlicher und zudem

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