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Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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Notaufnahme ist sehr schön. Mit einem Garten, in dem vermutlich die ganzen Verrückten, wirr vor sich hin murmelnd, rumlaufen können. So sieht also meine Zukunft aus.
    Wir sitzen im kargen Warteraum und, nun, warten. Ich muss pinkeln und gehe auf die Besuchertoilette. Sie ist unverschlossen, leider zu Unrecht, denn drinnen sitzt ein Mann und kackt. »Entschuldigung«, sage ich durch meinen Tränenschleier und schließe Mann und Geruch wieder hinter der Tür ein. Ich möchte Nelson gern davon erzählen, aber ich bin zu schwach. Also setzen ich und meine volle Blase uns wieder und wundern uns, dass ich überhaupt noch Flüssigkeit zum Ausscheiden habe.
    Ein dicklicher Pfleger kommt auf uns zu und fragt, was er für uns tun kann. Offensichtlich kennt er Nelson aus dem Fernsehen, er blickt ihn nämlich viel öfter an als mich. Wir erzählen die ganze Geschichte, und er stellt Fragen, die ich sofort wieder vergesse. Er erklärt uns, dass er den zuständigen Arzt holt, und lässt uns wieder allein.
    »Wann kommt denn endlich jemand mit einer Beruhigungsspritze?«, frage ich Nelson.
    Da kehrt der dicke Pfleger mit dem Arzt zurück. Der sieht sehr jung aus und starrt ebenfalls immer wieder Nelson an. Wir werden in ein Behandlungszimmer geführt und sollen schon wieder die ganze Geschichte runterlabern. Aber zuerst die Versichertenkarte bitte, Frau Herrmann. Und zehn Euro. Natürlich, lieber junger Arzt! Wir wollen ja auf keinen Fall die Pferde scheu machen mit meinem kleinen Nervenproblem. Nehmen Sie sich ruhig die Zeit, vielleicht soll ich noch schnell meinen Impfpass von zu Hause holen?
    Ich werde langsam wütend. Ein wenig stolz bin ich schon, dass ich trotz offensichtlichem Nervenzusammenbruch noch hassen kann. Das kann doch nicht sein, dass wir hier entspannt zu viert, wie bei einer Runde Karten, rumsitzen und uns gegenseitig in die Augen sehen.
    »Frau Herrmann, ich fasse nochmal zusammen: Sie sagen, Sie gehen schon seit ein paar Wochen zu einer aufwühlenden Therapie. Außerdem haben Sie sich von Ihrem Freund getrennt und Ihren Job verloren? Haben Sie denn Suizidgedanken?«
    »Kann ich jetzt vielleicht mal irgendwas zur Beruhigung haben bitte?«, frage ich, seine Frage ignorierend, zurück.
    »Ach so. Ja, natürlich«, sagt der junge Arzt und weist den dicken Pfleger an, irgendwas zu holen. Der wiederum verlässt den Raum, sichtlich enttäuscht, ein paar Minuten zu verpassen. Ich blicke Nelson verständnislos an, er zuckt irritiert mit den Schultern. Langsam dämmert mir, dass die beiden Witzfiguren vermutlich wegen Nelsons Bekanntheit befürchten, dass es sich hier um die »Versteckte Kamera« handeln könnte und deshalb so übervorsichtig sind. Ich fasse es nicht. Oder sie halten mich für eine überemotionale doofe Kuh, die einfach nur ein bisschen traurig ist und damit nicht umgehen kann. Das wiederum wäre verheerend, denn
diese
Gedanken habe ich mir schon selbst gemacht.
    Der Dicke kommt zurück und gibt mir eine Tablette namens »Tavor«. Ein angstlösendes Beruhigungsmittel in Hellblau. Ich soll sie unter die Zunge legen und zergehen lassen. Puh, für so was bin ich nicht die Richtige. Ich bin ein ungeduldiger User. Ich will nichts, was Zeit braucht. Ich mag am liebsten Spritzen oder wenigstens Tropfen, irgendetwas, das direkt ins Blut zischt. Aber ich kann nicht wählerisch sein und tue, wie mir geheißen. »Und wann wirken die?«, frage ich, ganz Ich.
    »Na, so in einer halben Stunde sollten Sie ruhiger werden. Vermutlich werden Sie auch müde«, sagt der junge Arzt zu Nelson. So fühlen sich bestimmt Frauen mit großen Brüsten. Denen sehen die Leute auch nie ins Gesicht, wenn sie sprechen. Nelson ist meine großen Brüste.
    »Und nun?«, frage ich. »Was passiert jetzt mit mir?«
    »Ich schlage vor, dass Sie weiterhin zu Ihrer Therapeutin gehen. Außerdem sollten Sie einen Psychiater konsultieren, der entscheidet dann, ob Ihnen vielleicht Antidepressiva helfen würden.« Kann ich jetzt schon welche haben bitte, will ich fragen. Aber Nelson legt mir die Hand aufs Knie und drückt leicht zu. Halt mal die Klappe, will er damit sagen. »Sollten Sie aktive Suizidgedanken haben, müssen wir Sie allerdings hierbehalten. So ist die Regel.« Habe ich nicht, beruhige ich ihn und mich. Nur Gedanken über Suizidgedanken. Das zählt ja wohl nicht.
    Wir werden entlassen. Ganz offensichtlich wollen beide Herren noch ein Autogramm von Nelson, aber der ist heute in so privater Mission unterwegs, dass die Bitte eine

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