Maengelexemplar
hässlicher Fake. Meine Handtücher wären enttäuscht.
Und dann zieht es plötzlich auf.
Ein Gewitter in meinem Körper.
Ich werde schrecklich unruhig. Eigentlich bin ich das in den letzten Tagen eh dauernd, aber das hier ist anders. Irgendetwas braut sich in mir zusammen. Mein Herz rast, ich habe das Gefühl, dass etwas Riesiges auf mich zugerollt kommt. Wie eine Stampede: Ein spontaner Zusammenschluss von (meist wilden) Tieren, der plötzlich zusammenzulaufen beginnt, ohne einen erkennbaren Grund oder eine eindeutige Richtung. So steht es im Lexikon, und genau das ist es. Wilde Tiere, kein erkennbarer Grund. In mir rennt plötzlich alles auf mich zu. Laut, schnell, enorm bedrohlich. Ich habe vor nichts Konkretem Angst, nichts ist rational, aber alles ist furchterregend. Ich schwitze und muss hier sofort raus. Weil ich aber die bin, die ich bin, zahle ich noch schnell vier Saugnapfhandtuchhalter aus weißem Plastik.
Die einzige Panikattacke, die ich je hatte, überfiel mich vor etwa einem Jahr abends im Bett. Ich hatte undefinierbare Schmerzen im Unterarm und dachte eine Spur zu lange über eine mögliche Diagnose nach, über Thrombose und Lungenembolie, und plötzlich kribbelte mein ganzer Körper, ich bekam keine Luft mehr, dafür aber schlimmes Herzrasen. Vom Fernsehen perfekt vorbereitet, leistete ich selbst Erste Hilfe: an die frische Luft, tief atmen, nicht hyperventilieren. Also stand ich zwanzig Minuten nackig auf meinem Balkon und atmete frierend. Anschließend habe ich mir ein Hörspiel angemacht, um abgelenkt einschlafen zu können.
Ich habe mein ganzes Leben lang gelernt, meine Probleme selbst zu lösen. Mein Innerstes ist wie New York:
If I can make it there, I’ ll make it anywhere
.
Schwitzend und zitternd fahre ich nach Hause. Ja, es geht mir schlecht, aber hey, ich habe noch einiges zu tun. Nelson hatte Geburtstag, wir sind in zwei Stunden verabredet, ich muss noch Geschenke einpacken, keine Zeit für Angstanfälle, zumal es keinen Grund dafür gibt, ich bin schließlich kein Psycho.
Ich ignoriere also, dass mein Körper sich nicht beruhigen kann. Tatterig packe ich einen Haufen Geschenke für Nelson ein. Ich kann das Klebeband nicht vernünftig halten und lege mich kurz ins Bett. Aber das funktioniert auch nicht. In mir fühlt es sich an wie im Urwald: laut, durcheinander, voll. Ich versuche, zu atmen, mich zu beruhigen, aber ich kann nicht. Ich nehme eine kalte Dusche, aber ich kann mich kaum auf den Füßen halten, ich steige aus der Wanne und packe nackt und nicht abgetrocknet weiter Geschenke ein. Ich höre Musik dabei, die ich sonst nie höre. Ich habe plötzlich Angst vor Gewohntem. Kann nicht den Fernseher anmachen. Irgendwas da drin könnte mir etwas antun. Keine Ahnung.
Ich laufe auf und ab, rufe schließlich Nelson an:
»Nelson, ich bin’s. Sag mal, mir geht es grad ein bisschen komisch, vielleicht wäre es besser, wenn du mich mit dem Auto abholst, statt ich dich. Geht das?«
»Klar«, sagt der gute und ahnungslose Nelson. »Was ist denn los?«
»Ach, nichts weiter«, verharmlose ich blöde Flachpfeife, »fühlt sich ein bisschen an wie ein Panikanfall oder so. Aber es geht gleich wieder. Wann kommste denn?«
»In einer Stunde etwa, ich hab hier noch einen Termin im Sender.«
»Falls ihr diese neue Penispumpe aus der Türkei reinbekommen habt, sag deinen Chefs, dass ich sie jederzeit weiterempfehlen würde!«, witzele ich schwach rum. Karo Herrmann, immer einen flotten Spruch auf den Lippen.
»Mach ich, alte Sau. Bis gleich«, witzelt Nelson zurück. Aber er ist nicht doof, er merkt, dass was nicht stimmt. Süß, dass er sich trotzdem für mein Witze-Ego Mühe gibt.
Ich laufe weiter auf und ab. Die Geschenke sehen scheiße aus. Ich habe es einfach nicht hinbekommen. Alles verknittert und lieblos eingepackt. Ich muss etwas tun, in mir ist die Hölle los.
Ich packe die Saugnapfhandtuchhalter aus und bringe sie ins Bad. Die Handtücher sollen sich freuen bitte. Aber ich kann ihre Reaktion nicht abwarten, ich habe das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Es ist unerträglich in meinem Körper. Mir ist heiß, und zu der Angst hat sich mein Freund, die schwere Pferdedecke Traurigkeit, gesellt. Sie wickelt sich ganz eng um mich herum. Ich bekomme keine Luft, ich ersticke an mir! Im Wohnzimmer liegt eine Schere auf dem Boden. Ich habe plötzlich Angst vor ihr. Angst vor
mir
. Ich räume sie weg. Der Balkon macht mir Angst. Würde ich springen, ich wäre sofort tot. Und die
Weitere Kostenlose Bücher