Maengelexemplar
»Musst du den Mädels erst noch den Nachtisch machen?«
»Karo, bitte. Lass uns morgen in Ruhe telefonieren.«
»Nein! Ich will nicht morgen in Ruhe telefonieren. Ich will jetzt telefonieren. Ich will wissen, was mit uns ist!«
»Karo ...« Philipp hat in den letzten drei Minuten meinen Namen öfter gesagt als in den vergangenen zwei Jahren. »Ich kann jetzt nicht. Ich habe Besuch. Ich rufe dich in zwei Stunden nochmal an, ja?«
»Vielleicht schlaf ich dann aber schon.« Ziemlich lässig, Karo. Trotz kommt immer enorm gut an bei Männern.
»Karo, bitte. Ich meld mich, sobald ich hier Ruhe habe, ja?«
»Leck mich«, sage ich und lege auf.
Panik steigt in mir auf wie die Bläschen in einem sehr stark kohlensäurehaltigen Getränk. Ich gehe aufs Klo, hoffe, dass dies wenigstens eine doppelte Entleerung nach sich zieht: Verdautes weg, Angst weg. Aber so funktioniert es leider nicht. Die Kacke ist zumindest im übertragenen Sinne immer noch am Dampfen. Philipp vermisst mich nicht. Philipp ist zufrieden mit unserer Trennung. Eine Trennung, die für
mich
gedacht war.
Ich
wollte eine Auszeit von
ihm
.
Ich
war nicht mehr glücklich. Und nun dreht er den sogenannten Spieß einfach um. Ich versuche, einen klaren Kopf vorzutäuschen. Jetzt mal ruhig Blut, den Ball flachhalten, den Morgen nicht vor dem Abend hassen, es wird schließlich nichts so heiß gegessen, wie man in den Wald hineinruft.
Bestandsaufnahme:
Was will ich? – Dass Philipp mich vermisst!
Weshalb? – Weil ich ihn vermisse!
Warum vermisse ich ihn? – Darum!
Etwas genauer bitte! – Weiß ich nicht, ist halt so.
Kann es sein, dass ich ihn nur vermisse, weil er mich nicht vermisst? – Weiß ich nicht. Ist doch egal. Das Endprodukt ist dasselbe.
Habe ich vielleicht doch ziemliche Angst vor dem Alleinsein? – Lass mich in Ruhe!
Ich will nicht mehr denken. Ich will viel lieber viel rauchen und Quatsch im Fernsehen sehen und eingeschlafen sein, bevor Philipp anruft.
Aber Philipp ruft an, bevor ich auch nur annähernd genug geraucht habe. Ich lasse das Telefon fünfundzwanzig Sekunden lang klingeln, fünf Sekunden später ginge meine Mailbox ran. Es ist mein allerletzter Trumpf.
»Hallo«, sage ich erschöpft.
»Hallo«, sagt er erschöpft.
»Na?«, schinde ich Zeit.
»Na?«, schindet er Zeit zurück.
»Ist der Damenbesuch schon weg? Oder liegt er mit Dessert beschmiert in deinem Bett?«
Ich kann Philipps Augen förmlich rollen hören.
Ach, Karo
, äffe ich ihn in Gedanken schon mal nach, beziehungsweise
vor
.
»Ach, Karo ...«
Bingo! Ich nehme lieber den Handstaubsauger statt der Kaffeemaschine, geht das?
Ich möchte Philipp keine echten Fragen mehr stellen. Ich habe Angst vor echten Antworten. Also frage ich, was er denn gekocht hat. Während er antwortet, überlege ich mir schon die nächste Frage. Ob er mal wieder was an öffentliche Verkehrsmittel gesprüht hat, wäre vielleicht gut. Das könnte auch eine längere Antwort geben. Philipp ist nicht so feinfühlig, dass er meine Ablenkungsmanöver bemerkt. Er redet immer noch über die Konsistenz der grünen Bohnen.
»Was soll die Scheiße? Weshalb redest du die ganze Zeit vom Essen? Findest du nicht auch, dass wir hier ein Problem haben? Ein Ungleichgewicht? Unsere Beziehung wackelt, und du redest wieder nur von dir!« Das war ungerecht, ich weiß, aber die einzige Möglichkeit für mich, das hässliche Kind beim Namen zu nennen. Ich wappne mich mit Aggression gegen das, was jetzt kommen wird. Hass ist ein guter Tarnmantel. Hass ist die neue Camouflage.
»Karo, was soll ich sagen ... Du wolltest, dass wir uns eine Zeit lang nicht sehen, und ich ... ich denke, dass das richtig ist.«
»Ja, aber ich habe von einer Pause gesprochen. Nicht von einer Trennung, die du prima finden darfst und nutzt, um Dick und Doof zu bekochen!«
»Nein, Karo, jetzt machst du dir was vor, du wolltest keine Pause, du wolltest dich trennen. Du hast gesagt, dass du unglücklich bist. Und dass ich es auch bin. Und du hattest recht. Ich bin unglücklich, und das geht so nicht weiter. Wir tun einander nicht gut.«
Ich bin verblüfft. So ist er sonst nicht, der Philipp. Sonst konnte ich auf seine Feigheit immer zählen.
»Aber du fehlst mir, Philipp. Das ändert doch alles!«
Tut es das?
, piepst Anette plötzlich in meinem Kopf.
»Tut es das?«, fragt Philipp weniger piepsig, als ich es mir wünschen würde. »Ich denke wirklich, wir sollten es bei dieser Trennung belassen.«
Morgens traurig zu sein, ist
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