Maengelexemplar
viel schlimmer, als tagsüber oder gar abends traurig zu sein. Abends traurig zu sein, ist am besten, denn dann kann man im Grunde sofort ins Bett gehen, einschlafen und für ein paar Stunden alles andere als traurig sein. Pornostar zum Beispiel. Oder Profifußballer (davon träumen Jungs doch noch?). Leider träume ich, wenn ich Liebeskummer habe, oft, dass alles wieder gut ist. Besser sogar als in der Realität. Ich träume, dass Philipp und ich wieder zusammen sind und uns, wie im Film, richtig
lieben
. Philipp hat immer gute Laune, wir ziehen zusammen, wir werden schwanger, und die beiden Kommilitonenschnepfen Jenny und Isa müssen unsere Wohnung putzen und meine Füße massieren, auch wenn die nicht gewaschen sind. Meine Füße, nicht die Mädels. Ich bin den ganzen Traum über erleichtert und wirklich glücklich. Alles nur geträumt, denke ich im Traum.
Und wenn ich aufwache, werde ich nochmal ganz jungfräulich entherzt. Nach acht Stunden Schlaf noch einmal neu verlassen. Jeden verdammten Morgen. Den ganzen Körper noch voll von diesen rosa Hormonen, die einen glücklich machen, und kaum wacht man auf, rülpst einem die Realität mit ungeputzten Zähnen ins Gesicht und brüllt: »Reingelegt!« und »Ich werde den ganzen Tag mit dir verbringen!« Zwölf bis achtzehn Stunden Schmerz liegen ausgebreitet wie ein roter Teppich vor einem.
Ich kenne mich ganz gut aus mit Liebeskummer und weiß, dass Ablenkung und Verdrängung anfangs tatsächlich funktionieren. Vor allem Verdrängung hat total ihre Berechtigung. Sie lässt einen zu Kräften kommen für den Tag, an dem die Erkenntnis final an die Tür klopft. Ich weine also erst ein bisschen im Bett, mache mit dem Handy ein Foto von mir selbst, das ich »Tag 1« nenne, und stehe dann auf. Ich bitte die Realität, sich wenigstens die Zähne zu putzen, wenn sie schon meine Begleitung, das
Plus eins
auf der Gästeliste im Club meines Herzens, für die nächsten Tage (Wochen, Monate) sein wird. Und rufe dann meinen besten Freund Nelson an. Er soll mich und die Realität bitte zum See begleiten.
Mein Freund Nelson ist weniger exotisch, als sein Name vermuten lässt. Nelson ist sogar sehr normal. Er ist normalgewichtig, hat ganz normale graublaugrüne Augen und dunkelblondhellbraune Haare und trägt ganz normale Jeans-und-Shirt-und-Turnschuhe-Kleidung und eine ganz normale Brille. Das findet er sehr angenehm, denn Nelson ist berühmt, wird aber selten erkannt, weil er so normal aussieht.
Wir kennen uns seit meiner Ausbildung bei der Event-Management-Agentur. Er war dort damals auch Azubi, hat aber abgebrochen für einen Job beim Verkaufsfernsehen. Im Laufe der letzten Jahre hat er sich tatsächlich zu einem der bekanntesten Shoppingkanalmoderatoren hochverkauft. Mich macht das sehr stolz, denn ab und zu wird Nelson auf der Straße doch erkannt, und dann tun wir manchmal so, als wäre ich seine Frau, dann glitscht ein wenig von seinem Ruhm auf mich ab. Dass Nelson im wahren Leben schon eine Frau hat, die zauberhafte Katrin, hält uns nicht davon ab, manchmal
Trennung auf der Straße
zu spielen. Wir brüllen uns an, bis einer von uns beiden den Schwanz einzieht, weil es dann doch zu unangenehm wird. Im Grunde hat derjenige gewonnen, dessen gebrülltes Streitargument für das Gegenüber so peinlich ist, dass er »Psst, bitte aufhören« wispert.
Obwohl Nelson unheimlich seriös aussieht und besonders bei älteren Damen das Gefühl eines zweiten Frühlings auslöst, kann er auf eine gemeine Art witzig sein. Ich kenne eigentlich jeden bösartigen Witz, habe alle schon selbst gemacht, aber manchmal schafft Nelson es, mich zu verblüffen.
Während eines gemeinsamen Urlaubs in Portugal vor ein paar Jahren haben wir tagelang Strandhopping praktiziert. Wir sind im Mietwagen die Küste entlanggefahren und an jedem Strand schnell ins Meer gehopst, haben fünf Minuten gebadet, und weiter zum nächsten Strand. Nach der Herrmann’schen Entspannungstheorie ging es dabei wie gewohnt um Quantität statt Qualität.
Irgendwann zwischen dem zehnten und fünfzehnten Strand haben wir an einem kleinen Hafen mit Badestelle gehalten. Ich war ziemlich fasziniert von den zum Sand führenden Betonrampen, die man offensichtlich für Rollstuhlfahrer angelegt hatte. Das Gag-Zentrum meines Hirns wurde plötzlich ungeheuer stimuliert, und ich machte einen ziemlich durchschnittlichen Witz über Rollstuhlfahrer am Strand, woraufhin Nelson plötzlich sehr ernst wurde: »Finde ich nur so
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