Maenner fuers Leben
die öde Harfen-Geschichte weiter analysieren, denke ich mal wieder an Leo, und ich frage mich mindestens zum einhundertsten Mal, ob ich – formal gesehen, und wenn man hundert Leute auf dem Times Square befragen würde – Andy in jener Nacht im Flugzeug betrogen habe. Immer habe ich bisher gehofft, die Antwort möge «nein» lauten – sowohl um Andys als auch um meinetwillen. Aber heute Abend wird mir klar, dass ein kleiner Teil meiner selbst sich fast wünscht , ich gehörte zu dieser finsteren Kategorie. Ich will ein Geheimnis haben, das mich von Ginny und dieser ganzen Welt von Desperate Housewives unterscheidet, in die ich hier geraten bin. Ich höre sie geradezu, wie sie mit ihren Freundinnen aus Buckhead tratscht: «Ich weiß nicht, was Margot an diesem geschmacklose Schrifttypen aussuchenden, T-Shirttragenden, strähnchenlosen Yankee-Trampel findet.»
Der Rest des Abends verläuft ereignislos – die Männer reden endlos über Golf und Geschäfte, die Frauen über Babys –, bis Ginny an ihrem Weinglas nippt, das Gesicht verzieht und fragt: «Margot, Liebling, was trinken wir hier?»
«Das ist ein Merlot», antwortet Margot sofort, und etwas in ihrem Tonfall sagt mir, dass es Ärger gibt. Ich werfe einen Blick auf die Flasche und sehe, dass ich diese Flasche mitgebracht habe – und dann fällt mir auch wieder ein, dass wir sie von meinem Vater und Sharon zum Einzug in unser New Yorker Apartment geschenkt bekommen haben.
«Tja, aber er schmeckt miseraaabel », sagt Ginny, als wäre sie eine Engländerin – eine Gewohnheit, die mir ganz speziell auf den Zwickel geht. (Vorhin hat sie erwähnt, dass sie und Craig eine Reise nach «Me-chi-ko» planen – einen Plan, den sie höchstwahrscheinlich ohnehin nicht in die Tat umsetzen.)
Margot wirft Ginny einen warnenden Blick zu – und man sollte meinen, dass sie diesen Blick schon auf der Highschool perfektioniert hätte, aber entweder sieht Ginny ihn nicht, oder sie ignoriert ihn absichtlich. Jedenfalls setzt sie ihr Geflachse fort. «Wo hast du den her? Aus dem Wal-Mart?»
Bevor Margot etwas sagen kann, schnappt Craig die Flasche, überfliegt das Etikett und höhnt: «Pennsylvania. Er ist aus Pennsylvania. Genau. Jeder weiß doch, wie weltberühmt die Weinberge in Pennsylvania sind.» Er lacht über seinen eigenen Witz und freut sich, seine Kultiviertheit zur Schau zu stellen, sein Wissen über die feineren Dinge des Lebens. «Das wäre wirklich nicht nötig gewesen», fügt er noch hinzu und erwartet, dass wir uns jetzt alle ausschütten vor Lachen.
Andy wirft mir einen Blick zu, der sagt: Lass es gut sein . Wie seine Schwester und seine Mutter geht er jedem Konflikt aus dem Weg, und tief im Innern weiß ich, dass ich genau das jetzt auch tun sollte. Ich bin auch ziemlich sicher, dass niemand mich beleidigen wollte – Craig und Ginny haben wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, dass ich den Wein mitgebracht habe. Es handelt sich nur um eine gutmütige Stichelei unter Freunden. Ein Tritt ins Fettnäpfchen, der jedem mal passieren kann.
Aber weil ich Ginny und Craig nicht leiden kann und sie mich auch nicht, und weil ich in diesem Augenblick überall auf der Welt sitzen möchte, nur nicht an einem Tisch in meiner neuen Heimatstadt Atlanta bei einem Essen mit Ginny und Craig, sage ich: «Aus Pittsburgh, genau genommen.»
Craig sieht mich verwirrt an. «Pittsburgh?»
«Ja. Pittsburgh … nicht Philadelphia.» Mein Gesicht glüht vor Entrüstung. «Es ist Pittsburghs bester Merlot.»
Craig, der offensichtlich keine Ahnung hat, woher ich stamme und sich noch nie die Mühe gemacht hat, mich zu fragen, ist immer noch verwirrt, und ich sehe, dass Margot und Webb einen unbehaglichen Blick wechseln.
«Ich bin aus Pittsburgh», sage ich gespielt kleinlaut. «Ich habe die Flasche mitgebracht.» Ich schaue Ginny an und lasse den Wein in meinem Glas kreisen. «Tut mir leid, dass er den Ansprüchen nicht genügt.»
Craig macht ein betretenes Gesicht, Ginny stammelt verlegen irgendetwas, Margot lacht nervös, Webb wechselt das Thema, und Andy tut absolut nichts. Und ich hebe stumm mein Glas und trinke einen großen Schluck von dem billigen Rotwein.
Vierundzwanzig
Auf dem kurzen Heimweg durch die schwüle Luft warte ich darauf, dass Andy mir eilig beispringt – oder die Merlot-Episode wenigstens beiläufig erwähnt. Ich habe vor, dann lachend darüber hinwegzugehen oder vielleicht auch ein paar erlesene Kommentare über Ginny und Craig zu machen – über ihr
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