Maenner fuers Leben
Philosophie-Examen, einem Stapel T-Shirts und abgeschnittenen Jeans. Ich besaß 433 Dollar und hatte die Gewohnheit, immer nur fünf Dollar aus dem Geldautomaten zu ziehen, einen Betrag, für den ich zu meinem Schrecken in der City nicht mal ein Pastrami-Sandwich bekam. Aber Margots Treuhandfonds, den ihre Großeltern mütterlicherseits für sie eingesetzt hatten, war eben frei geworden, und sie versicherte mir, was ihr gehöre, gehöre auch mir – denn waren wir schließlich nicht eher Schwestern als Freundinnen?
«Bitte zwing mich nicht, in einer Bruchbude zu wohnen, nur damit du dir die halbe Miete leisten kannst», sagte sie nur halb im Scherz. Margot brauchte über Geld nicht nachzudenken, sie wollte es auch nicht. Also lernte ich, meinen Stolz herunterzuschlucken und meinen brennend roten Hals zu ignorieren, wenn ich mir Geld von ihr lieh. Ich sagte mir, ein schlechtes Gewissen sei reine Gefühlsverschwendung, und ich würde es eines Tages wiedergutmachen – wenn nicht finanziell, dann auf irgendeine andere Weise.
In diesem ersten, aufregenden Sommer in der Stadt motzte ich fast einen Monat lang meinen Lebenslauf mit Übertreibungen und schicken Schriften auf und bewarb mich um jeden Bürojob, den ich finden konnte. Je langweiliger die Stellenbeschreibung, desto seriöser erschien mir die damit verbundene Karriere, denn damals setzte ich Erwachsensein mit Langeweile und Strumpfhosen gleich. Ich bekam jede Menge Rückrufe, aber im Vorstellungsgespräch muss ich grottenschlecht gewesen sein, denn ich handelte mir nur Absagen ein. Also gab ich mich schließlich mit einem Job als Kellnerin im L’Express zufrieden, einem Café in der Park Avenue South, das sich selbst als Lyonnaiser bouchon beschrieb. Ich musste lange arbeiten – oft hatte ich die Spätabendschicht –, und mir taten dauernd die Füße weh, aber es war nicht übel; ich verdiente überraschend gutes Geld (die Gäste geben spätabends mehr Trinkgeld), lernte ein paar coole Leute kennen und erfuhr alles, was ich jemals über charcuterie und Käseplatten, Portwein und Schweinsfüße wissen wollte.
Unterdessen fing ich mit dem Fotografieren an. Es begann als Hobby, um mich zu beschäftigen und um die Stadt kennenzulernen. Ich spazierte durch die verschiedenen Viertel – East Village, Alphabet City, SoHo, Chinatown, Tribeca – und machte Fotos mit einer 35-mm-Kamera, die mein Vater und Sharon mir zum Examen geschenkt hatten. Aber schon sehr bald bedeutete das Fotografieren mir mehr. Bald tat ich es nicht nur einfach gern – ich musste es tun, ganz so, wie ein Schriftsteller den Drang hat, Worte zu Papier zu bringen, oder wie begeisterte Jogger morgens früh einfach laufen müssen . Das Fotografieren begeisterte mich, und mit einem Mal hatte ich ein Ziel, selbst dann, wenn ich buchstäblich völlig ziellos war. Meine Mutter fehlte mir wie sonst nie, und zum ersten Mal in meinem Leben sehnte ich mich wirklich nach einer liebevollen Beziehung. In der zehnten Klasse war ich wahnsinnig verknallt in Matt Iannotti gewesen – eine Borderline-Macke, die mich fast zum Stalker hatte werden lassen –, aber davon abgesehen hatte ich mich nicht besonders für Jungs interessiert. Ich hatte hier und da ein paar Dates und auf dem College zwei Freunde gehabt, mit denen ich Sex hatte, mit dem einen richtig, mit dem anderen weniger. Aber ich war noch nie wenigstens annähernd verliebt gewesen. Noch hatte ich die entsprechenden Worte jemals ausgesprochen oder geschrieben, außer gegenüber meiner Familie und bei Margot, wenn wir beide zu viel getrunken hatten. Und das alles war mir ganz recht – bis zu diesem ersten Jahr in New York. Ich wusste nicht genau, was sich da in meinem Kopf verändert hatte, aber vielleicht lag es daran, dass ich wirklich erwachsen war – und umgeben von Millionen Menschen, Margot eingeschlossen, die allesamt klar umrissene Träume hatten und jemanden liebten.
Also richtete ich meine ganze Energie auf das Fotografieren. Jeden Cent, den ich übrig hatte, gab ich für Fotomaterial aus, und jeden freien Augenblick verbrachte ich mit Fotografieren oder über Büchern in der Bibliothek und in Buchhandlungen. Mein Lieblingsbuch bekam ich von Margot zum dreiundzwanzigsten Geburtstag: The Americans von Robert Frank, eine Serie von Fotos, die er in den fünfziger Jahren auf seinen Reisen durch das ganze Land machte. Ich war wie hypnotisiert von seinen Schwarzweißbildern. Jedes einzelne war wie eine Geschichte für sich. Ich hatte das
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