Maenner fuers Leben
können (und mehr, als ich schließlich lernte, als ich tatsächlich Fotokurse besuchte). Jeden Tag sah ich zu, wie Quynh mit ihren schmalen, geschickten Fingern die Filme einfädelte und an den Knöpfen der Apparate drehte, hier ein bisschen Gelb hinzufügte und da ein bisschen Blau wegnahm, um perfekte Abzüge zu produzieren, und ich verliebte mich immer mehr in meinen auserwählten Beruf.
Da war ich also, als ich die schamlose Aufforderung erhielt, mich als Geschworene zur Verfügung zu stellen. Ich war zwar immer noch ziemlich arm, aber glücklich und zuversichtlich, und ich war nicht gerade versessen darauf, meine Arbeit ruhenzulassen (und somit weniger zu verdienen), um am Gericht Dienst zu tun. Margot schlug vor, ich solle Andy fragen, der eben im dritten Jahr seines Jurastudiums an der Columbia University war; vielleicht könnte er mir sagen, wie ich mich da herausreden könnte. Also rief ich ihn an, und er versicherte mir, das sei ein Kinderspiel.
«Du darfst beim Voir Dire nicht lügen», sagte er, und ich hörte zu, beeindruckt von dieser fremdartigen Ausdrucksweise. «Aber du kannst deine Voreingenommenheit übertreiben. Lass einfach durchblicken, dass du Rechtsanwälte hasst, dass du keinem Polizisten traust oder dass du eine Abneigung gegen reiche Leute hast. Was immer sie da gerade suchen.»
«Na ja», sagte ich, «eine Abneigung gegen reiche Leute habe ich ja.»
Andy lachte. Er wusste, dass ich einen Witz machte, aber von Margot musste er auch wissen, wie pleite ich ständig war. Er räusperte sich und redete ernsthaft weiter. «Unbeherrschte Körpersprache ist auch ein guter Trick. Du musst genervt aussehen. Als hättest du Wichtigeres zu tun. Halte die Arme verschränkt. Keine der beiden Seiten vor Gericht will eine ungeduldige Geschworene haben.»
Ich würde seinen Rat auf jeden Fall befolgen, sagte ich. Ich würde alles tun, um mein regelmäßiges Leben weiterzuführen – und mein dringend benötigtes Gehalt zu kassieren.
Aber all das änderte sich blitzartig, als ich Leo zum ersten Mal sah. Der Augenblick ist für alle Zeit in mein Gedächtnis eingebrannt.
Es war noch früh am Morgen, aber ich hatte den Stapel Zeitschriften in meiner Schultertasche schon durchgelesen, hundertmal auf die Uhr gesehen und Quynh von einem Münztelefon aus angerufen, um ihr einen Statusbericht zu geben. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, ließ den Blick durch den Raum wandern und entdeckte ihn. Er saß mir schräg gegenüber, ein paar Reihen weiter, las die letzte Seite der New York Post und nickte im Takt der Musik aus seinem Discman, und plötzlich hatte ich das verrückte Verlangen, zu wissen, was er da hörte. Aus irgendeinem Grund stellte ich mir vor, es sei die Steve Miller Band oder Crosby, Stills and Nash. Irgendetwas Männliches, passend zu seiner ausgewaschenen Jeans, dem marineblauen Fleece-Pullover und den schwarzen, locker geschnürten Adidas-Sneakers. Als er den Kopf hob und zur Wanduhr schaute, bewunderte ich sein Profil. Eine markante Nase (Margot würde sie später als «trotzig» bezeichnen), hohe Wangenknochen und dunkles Haar, das lockig über die glatte, olivfarbene Haut an seinem Hals fiel. Er war nicht besonders groß oder stämmig, aber er hatte einen breiten Rücken, und seine Schultern sahen kräftig aus. Ich stellte ihn mir beim Seilspringen in einem nüchternen, zweckmäßigen Fitness-Studio vor, oder wie er die Treppe zum Gericht hinauflief und dabei ein bisschen wie Rocky aussah, und ich kam zu dem Schluss, dass er eher sexy als hübsch war. Sexy im Sinne von «Ich wette, er ist gut im Bett». Der Gedanke überraschte mich, denn normalerweise beurteilte ich Männer nicht nach diesen Kriterien. Wie den meisten Frauen war es mir wichtig, jemanden vorher kennenzulernen: Anziehungskraft, fand ich, beruhte auf Persönlichkeit. Außerdem stand ich gar nicht so sehr auf Sex. Noch nicht.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, drehte Leo sich um und warf mir einen verschmitzten, intelligenten Blick zu, der sagte: «Hab dich erwischt» oder vielleicht auch nur «Geschworenen-Dienst ist Mist, was?». Er hatte tiefliegende Augen (sodass ich die Farbe nicht erkennen konnte), und irgendwie schaffte er es, selbst im Licht der grellen Leuchtstofflampen geheimnisvoll auszusehen. Ich schaute ihn einen gefährlichen Augenblick lang an, bevor ich so tat, als konzentrierte ich mich auf den Bürokraten am Eingang, der gerade mindestens zum fünften Mal erklärte, was ein gültiger medizinischer
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