Maenner fuers Leben
rasch voran, und schon nach wenigen Augenblicken lädt Leo unser Gepäck in den Kofferraum eines Taxis.
«Wohin?», fragt unser Fahrer, als wir auf den Rücksitz gerutscht sind.
«Zwei Stationen», sagt Leo. «Zuerst nach Astoria, Newton Avenue, Ecke 28th … und dann …?» Er sieht mich an, zieht die dunklen Brauen hoch und wartet auf meine Adresse.
«37th, Third Avenue», sage ich und stelle mir vor, wie es in diesem Augenblick zu Hause aussieht: die Jalousien geschlossen, alles still bis auf die gedämpften Geräusche des zunehmenden Morgenverkehrs. Andy in einem verschlissenen T-Shirt und einer Pyjamahose, friedlich schlafend in unserem Bett. Ein stechendes Schuldgefühl zuckt durch meine Brust, aber ich sage mir, ich werde ja bald zu Hause sein.
«Murray Hill, hm?», sagt Leo beifällig. Er war nie ein großer Fan von meiner alten Gegend.
«Ja. Wir finden es wirklich gut da», sage ich. «Kein Szeneviertel, und es liegt sehr günstig und zentral …»
Wir , denke ich. Mein Mann und ich .
Mir entgeht nicht, dass Leo das Pronomen ebenfalls zur Kenntnis nimmt, denn in seinem Gesichtsausdruck sehe ich eine kaum merkliche Veränderung, als er beinahe respektvoll nickt. Vielleicht denkt er aber auch nur an die andere Hälfte seines eigenen «Wir»– an Carol, die womöglich in diesem Augenblick in den Newton Avenue in ihrem hübschesten Nachthemd auf ihn wartet. Während wir über den Long Island Expressway fahren, wird mir klar, dass ich keine Ahnung habe, ob sie zusammenwohnen oder ob er überhaupt daran denkt, zu heiraten – sie oder sonst jemanden.
Außerdem fällt mir ein, dass ich Leo nichts von meinem möglichen Umzug nach Atlanta erzählt habe. Gern möchte ich glauben, ich habe es einfach vergessen, aber tief im Innern weiß ich, dass ich es absichtlich unterlassen habe, obwohl ich nicht weiß, warum. Habe ich Angst, Leo könnte denken, dass die alte Ellen – wischiwaschi, wie sie ist – einfach hinter ihrem Gatten hertrottet? Oder dass er mich aus geographischen Gründen einfach völlig abschreibt? Oder liegt es daran, dass ich irgendwie nicht umziehen will – trotz allem, was ich Andy gesagt habe?
Wieder sage ich mir, die Zeit für Analysen kommt später. Jetzt will ich nur die schlichte Schönheit dieses Augenblicks genießen – die aufgehende Sonne am Horizont, die sanft summende ägyptische Musik im Radio, das Bewusstsein, Leo neben mir auf dem Rücksitz zu haben, während wir die letzte Etappe unserer Reise zurücklegen.
Ein paar Minuten später nehmen wir die Ausfahrt am Astoria Boulevard, genau unter der Triborough Bridge und der Hochbahn. Ich schaue hinauf zum Spalier der Gleise, und mich überkommt die Erinnerung an die vielen Male, als ich mit der Linie N in diese Gegend gefahren bin. Noch mehr Erinnerungen kehren zurück, als wir in Leos Straße einbiegen und ich die gedrungenen, in verschiedenen Schattierungen von Cremeweiß, Rot und Rosa gestrichenen Backsteinreihenhäuser sehe, vor denen die Mülltonnen unter grünen Markisen aufgereiht stehen. Leo zeigt auf sein Haus in der Mitte des Blocks und sagt zu unserem Fahrer: «Gleich da vorn links, bitte … neben dem weißen Pick-up.»
Das Taxi hält langsam an, und Leo schaut mich an, schüttelt den Kopf und sagt ziemlich genau das, was ich denke: «Verflucht, das ist so merkwürdig.»
«Wem sagst du das?», antworte ich. «Ich hätte nie gedacht, dass ich nochmal herkomme.»
Leo nagt an der Unterlippe. «Weißt du, was ich jetzt gern täte?»
Ein paar unstatthafte Bilder huschen mir durch den Kopf. Nervös frage ich: «Was denn?»
«Dich mit nach oben nehmen.» Leos Stimme ist so leise, dass sie beinahe hypnotisierend wirkt. «Ein paar Eier mit Speck braten … Kaffee kochen … Dann auf der Couch sitzen und dich … einfach anschauen … und den ganzen Tag mit dir reden …»
Mein Herz schlägt rasend, als ich an all die anderen Dinge denke, die wir in seinem Apartment im ersten Stock getan haben, nur wenige Schritte von hier entfernt. All die Dinge außer Reden. Ich schaue Leo in die Augen, und ich fühle mich matt und ein bisschen flau, als ich mir verzweifelt einzureden versuche, dass es okay wäre, mit ihm ins Haus zu gehen. Kann ich nicht einfach ein paar Minuten bleiben, nur auf einen schnellen Kaffee? Andy ist noch nicht mal wach. Er wird mich noch mindestens eine Stunde nicht vermissen. Was könnte das schaden?
Ich räuspere mich, drücke mir die Fingerknöchel in den Oberschenkel, dass es fast weh tut, und
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