Männer sind Helden
ungefähr dreißig weitere Typen, die zum Teil vermummt waren, folgten ihnen. Gemeinsam skandierten sie den Text, der auf dem Transparent stand. Ich musste lachen: Nieder mit den Ställen. Freiheit fürs Rindvieh! Das hörte sich an wie: Nieder mit den Alpen. Freie Sicht aufs Mittelmeer! Das konnten diese Ökotierschützer doch nicht ernsthaft fordern?
Doch sie konnten. Ein langer Kerl erklomm das Podest des Auktionators und ergriff das Mikrophon: „Viehhaltung ist Tierquälerei“, schrie er. „Wir, die Tierschutzgruppe Freedom, fordern die Freiheit für alle Tiere, die von den Menschen in Gefangenschaft gehalten werden!“ Seine Anhänger jubelten und klatschten. Die übrigen Besucher verließen den Sandplatz, um sich an den Wurstbuden anzustellen.
Hohlbein kam angerannt, den Landtagsabgeordneten im Schlepptau.
„Was ist hier los?“, rief der Redakteur und zückte seinen Notizblock.
„Das siehst du doch selber“, schrie Isabel und schwang sich über die Abzäunung. Drei Ordner kamen und versuchten, den Anführer der Tierschützer an den Armen zu packen. Der Landtagsabgeordnete sah seine Stunde gekommen und stieg auf das Podest. „Wir haben alles unter Kontrolle!“, sagte er laut und deutlich ins Mikrophon. „Bitte bewahren Sie Ruhe!“
Die paar Besucher, die auf ihren Bänken sitzen geblieben waren, klatschten Beifall. Die Ordner trugen den wild um sich schlagenden Tierschützer weg. Isabel machte Fotos, während Hohlbein versuchte, den Anführer zu interviewen. Wie aus heiterem Himmel war plötzlich auch ein Fernsehteam eines regionalen Senders erschienen. Wer hatte denen nur Bescheid gesagt? Ich stieg runter zum Sandplatz. Das musste ich mir nun wirklich aus der Nähe betrachten. Der Fernsehredakteur lief hektisch zum Auktionatorpodest, gefolgt von zwei missmutig dreinblickenden Typen in Jeans und Lederweste. Der eine trug eine Kamera auf der Schulter, der andere schleppte eine große Tasche und ein Stativ. Der Fernsehredakteur zupfte Herrn Wolgast am Ärmel und redete auf ihn ein. Der Landtagsabgeordnete nickte und stieg hinunter.
„Er gibt uns einen O-Ton“, schrie der Redakteur zu seinem Team, das endlich ebenfalls vor dem Podest angekommen war.
„Brauchst du den O-Ton wirklich?“, quengelte der Kameramann und holte ein Päckchen Tabak aus der Tasche.
„Jaa!“, erwiderte der Redakteur genervt und blickte verzweifelt gen Himmel. Der Kamera-Assistent baute gähnend das Stativ auf, während der Kameramann in Ruhe eine Zigarette drehte, anzündete und rauchte. Mittlerweile hatten sich die Tierschützer in eine Ecke des Sandplatzes zurückgezogen und diskutierten, was zu tun sei.
Isabel und Hohlbein kamen angerannt: „Ist hier etwas passiert?“, fragte Hohlbein.
„Nein, nur dass der Fernsehredakteur mit Herrn Wolgast gleich ein Interview machen wird“, antwortete ich.
„Mach bitte auch ein Foto“, sagte Hohlbein zu Isabel.
Das Kamerateam war einsatzbereit. Der Kameramann übergab das Mikrophon dem Redakteur und blickte durch den Sucher.
„Können wir?“, fragte der Redakteur.
Der Kameramann nickte: „Kamera läuft!“
Der Redakteur wandte sich zu seinem Interviewpartner: „Herr Wolgast, werden Sie die Forderung der Tierschützer erfüllen?“
Herr Wolgast machte ein ernstes Gesicht und blickte routiniert in die Kamera: „Unsere Partei hat es sich schon vor der letzten Landtagswahl zur Aufgabe gemacht, die Forderungen von Minderheiten wahrzunehmen, und ein Konsens mit Randgruppen unserer Gesellschaft zu finden. Unser Motto lautet: Dialoge suchen und finden.“
„Das ist aber keine Antwort auf meine Frage, Herr Landtagsabgeordneter“, unterbrach ihn der Redakteur.
„Das ist nicht wahr“, entgegnete der Landtagsabgeordnete. „Wenn Sie genauer hingehört hätten.“
„Wollen Sie nun die Forderungen der Tierschützer erfüllen oder nicht?“, fragte der Redakteur entnervt.
Herr Wolgast holte gerade Luft, als der ältere Herr im Blaumann, der den Lautsprecher weggerückt hatte, angerannt kam: „Das Vieh ist los! Das Vieh ist los!“, rief er und fuchtelte mit den Armen. Ich blickte in die Ecke, wo bis vor einigen Minuten die Tierschützer zusammengestanden hatten: Sie waren weg! Anscheinend hatten sie die Rinder, die in provisorischen Ställen untergebracht waren, befreit. Ein wild schnaubender Bulle kam in die Arena gerannt, gefolgt von zwei Milchkühen. Seine Augen glänzten bedrohlich, und er scharrte mit dem Vorderfuß, dass der Staub aufwirbelte
„Bloß weg
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