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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Aufklärung bieten. Und was ein/eine Peri ist, weiß ich bis heute nicht.
    Aber die Jungs aus dem ersten Tenor hinter uns hielten sich sowieso nicht an das Libretto.
    Als wir inbrünstig an die hundertmal sangen »denn heilig ist das Blut für die Freiheit verspritzt vom Heldenmut«, grölte der erste Tenor: »Denn einzig ist die Ruth, bei hundertdreißig geblitzt.«
    Der Chorleiter merkte nichts.
    »Denn heilig ist das Blut, für die Freiheit verspritzt, für die Freiheit.«
    »Der Tenor ruhig etwas kräftiger«, sagte der Dirigent.
    »Denn freilich hat der Mut, der sich beizeiten verpisst, für die Freiheit«, sang der Tenor etwas kräftiger.
    »Sehr schön so«, lobte der Dirigent.
    Der Tenor freute sich. Ich begann, es komisch zu finden. Zumal die Jungs wirklich gut sangen, wenn sie sich nicht gerade über ihre eigenen Witze totlachten.
    »Denn heilig ist das Blut, für die Freiheit verspritzt«, sangen wir, und der Tenor hielt, immer mutiger, dagegen: »Denn eilig ist die Mutt', die die Mahlzeit erhitzt!«
    Ich musste lachen und steckte das Mädchen neben mir an. Nach einer Weile kicherte die ganze Reihe. Das stachelte die Jungs noch mehr an.
    »Denn heilig ist das Blut, für die Freiheit verspritzt vom Heldenmut«, kichersangen wir mit zittrigen Stimmen und hatten noch mehr Schwierigkeiten mit dem hohen A.
    Das hörte der Dirigent.
    »Die Damen da hinten im Sopran, bitte bleiben Sie mit etwas mehr Ernst bei der Sache«, tadelte er uns.
    Die Jungs im Tenor lachten schadenfroh.
    »Denn heilig ist das Blut, für die Freiheit verspritzt im Heldenmut«, versuchten wir mit etwas mehr Ernst.
    »Denn freilich hat's der gut, der die Feier verschwitzt vom He-helmut«, schmetterte der Tenor, und da versagten unsere Stimmen völlig, und wir brachen in haltloses Gelächter aus.
    Der Chorleiter hieß Helmut mit Vornamen.
    »Ich sehe mich gezwungen, Sie der Probe zu verweisen, wenn Sie noch einmal die Konzentration der Gruppe stören«, drohte er uns, wobei er ärgerlich seine Lippen zusammenkniff und finster in unsere Richtung starrte.
    Ich hätte eigentlich nichts gegen einen Feldverweis an dieser Stelle einzuwenden gehabt, aber die anderen Soprane stellten gehorsam das Gelächter ein und konzentrierten sich fortan gewissenhafter auf das heilige Blut. Ich versuchte, es ihnen gleichzutun und an etwas wirklich Trauriges zu denken. Das war nicht schwer.
    Diese Chorproben waren noch das kleinere Übel. Wenn man Germanistik studieren will, kann es - wie in meinem Fall - passieren, dass man erst am Tag der Einschreibung erfährt, dass man dieses Fach nur in Kombination mit zwei weiteren Fächern studieren darf. Da man nicht viel Zeit hat, sich die Wahl der Nebenfächer zu überlegen, kann es weiterhin passieren, dass man sich - dermaßen in die Enge getrieben - für Musikwissenschaften und Philosophie entscheidet und fortan seines Lebens nicht mehr froh wird. Zumal man gegen die, die diese Fächer aus Leidenschaft und aufgrund ihrer Talente und Kenntnisse gewählt haben, nicht nur in Sachen Motivation weit abfällt. Nie werde ich die Ängste vergessen, die ich in den ersten beiden Semestern in Harmonielehre auszustehen hatte.
    Der Professor pflegte in die Menge zu deuten und auszurufen: »Sie da im roten Pullover, nennen Sie mir die dritte Umkehrung von cis-Moll!«
    Ich lief monatelang nur geduckt und in dezentes Grau gekleidet durch die Uni.
    Zur Teilnahme am Uni-Chor wurde man ebenfalls gezwungen, aber das war, wie gesagt, das kleinere Übel und konnte, wie heute, ganz lustig sein.
    »Hervor aus den Wäldern geschwind, und sehet das holde liebliche Kind«, mussten wir zum Abschluss singen, und der dichtfreudige Tenor machte daraus: »Hervor mit den Gläsern Absinth und leeret das tolle, gift'ge Getränk!«
    Nach der Chorprobe brauchte ich - wie immer - eine Viertelstunde, um alle Schlösser, mit denen ich mein Fahrrad gegen Diebe zu schützen pflegte, zu knacken. Es begann bereits zu dämmern, und ich summte »denn heilig ist das Blut für die Freiheit verspritzt ...« vor mich hin, um mich damit gegen etwaige Angriffe auf dem Weg zum Babysitten bei meiner Cousine zu wappnen.
    Jeder weiß, dass die Polizei immer rät, sich im Falle einer Begegnung mit dem gemeinen Feld-, Wald-, Wiesen- und Straßenbahnhaltestellenvergewaltiger passiv zu verhalten und sich bloß nicht zu wehren, damit er nicht zum hinterhältigen Würger oder blutrünstigen Schlitzer mutiert.
    Dennoch jagten mir Zeitungsberichte über Opfer, die dem gemeinen

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