Maenner und andere Katastrophen - Roman
Klettertauen wie im Affenhaus. Das Gästezimmer für mich war nebenan.
»Könnt ihr euch allein ausziehen? Zähneputzen?«, flüsterte ich taktvoll. Natürlich konnten sie das. Es waren wirklich süße Kinder.
Als ich nach einer halben Stunde auf Zehenspitzen ins Zimmer schlich, um die Kleinen gut zuzudecken, spielten Nils und Lennart
»Fangen-ohne-den-Boden-zu-berühren«, und Lars saß zusammengesunken in einer Ecke und drückte wie besessen auf die Knöpfe eines Kästchens, das nervenaufreibende Piepsgeräusche von sich gab. Ob ich wüsste, dass er der Einzige in seiner Klasse, ja der Schule und bestimmt auf der ganzen Welt sei, der keinen Gameboy besitze? Und ob ich nicht mal mit seinen ungerechten, verständnislosen und unmodernen Eltern reden könne?
Das arme Kind. Ich konnte es gut verstehen. So wie ihm mit dem Gameboy war es mir mit der Barbie-Puppe ergangen. Meine Mutter hatte sich strikt geweigert, eine Barbie im Haus zu dulden, und erfolgreich verhindert, dass mir eine geschenkt wurde. Genau das gleiche galt übrigens auch für »Hanni-und-Nanni«-Bücher, Schlümpfe und Shetlandponys.
Die Erinnerung an meine entbehrungsreiche Jugend stimmte mich milde und nachgiebig. Von mir aus dürften sie ruhig noch ein halbes Stündchen spielen, lenkte ich ein. Ich lieh mir von Lars »Berts gesammelte Katastrophen« und legte mich damit im Gästezimmer aufs Bett.
Da aber ein halbes Stündchen nach dem anderen verging und der Lärm im Kinderzimmer nicht nachließ, schlug meine milde Stimmung wieder um.
Draußen hatte sich längst die Sommernacht niedergesenkt, ich sehnte mich nach Schlaf und Stille, und diese ruhelosen Kinder tobten immer noch hellwach durchs Zimmer.
Verwöhnte Konsumbälger!
Früher war das alles anders. Wie war ich meiner Mutter inzwischen dankbar, dass sie dafür gesorgt hatte, dass mir diese geschmacklosen Plastik-Püppchen erspart geblieben waren, von den entsetzlich blöden Internatsgeschichten ganz zu schweigen. Und hatte es mir etwa geschadet, dass niemals Fritten oder Nutella auf den Tisch kamen?
Gute Ernährung, fantasieanregendes Spielzeug und regelmäßiger Schlaf waren schließlich die Basis für eine gesunde Entwicklung einer jeden Kinderseele. Regelmäßiger Schlaf war auch in meinem Alter noch ungeheuer wichtig. Jedermann weiß, dass Schlafmangel für die verfrühte Bildung von Krähenfüßen verantwortlich ist.
Ich erkannte, dass die gesunde Entwicklung der drei lärmenden Kinderseelen nebenan in unmittelbarem Zusammenhang zu der Anzahl der Krähenfüße stand, die sich heute Nacht um meine Augen graben würden. Deshalb wechselte ich gegen elf Uhr vom Laisser-faire zum autoritären Stil. In scharfem Ton befahl ich, Kleider mit Schlafanzügen zu tauschen, alle elektrischen Geräte auszuschalten und innerhalb einer Minute mit geputzten Zähnen im Bett zu liegen, sonst würde ich mich in einen von Roald Dahls schrecklichen Riesen verwandeln, bevorzugt in »Knochenknacker« oder »Kindermanscher«.
Als ich nach einer kurzen Gnadenfrist wieder ins Kinderzimmer kam, um Angst und Schrecken zu verbreiten, hing Lennart in drei Metern Höhe an einem Klettertau, und Nils tat sein Bestes, um ihn zum Hinunterfallen zu bringen. Lars saß immer noch mit dem geborgten Gameboy in der Ecke. Er sah nicht mal auf. Lennarts vergnügtes Quietschen wich kurzzeitig einem jammervollen Wimmern, als er mich sah, aber Nils rüttelte unbeirrt weiter am Tau. Vom bloßen Zusehen konnten einem Krähenfüße wachsen. Es waren grässliche Kinder.
»Jetzt reicht's aber«, sagte ich mit gefletschten Zähnen, schüttelte den jaulenden Lennart von der Decke, beschlagnahmte den Gameboy und begann, den Kindern die Klamotten vom Leib zu reißen.
Als Lars an der Reihe war, fiel ihm plötzlich ein, dass er seine Hausaufgaben noch nicht gemacht hatte.
»Ich hab früher meine Hausaufgaben auch nie gemacht«, tröstete ich ihn und zerrte an seinem Pulli.
»Früher gab's bestimmt auch keine Lehrer, die Prügel verteilen«, sagte Lars.
»Haut euer Lehrer?«
»Mit einem Schlagstock«, behauptete Lars.
Ich glaubte ihm kein Wort, gab ihm aber eine halbe Stunde, um die Sage vom Mäuseturm im Rhein bei Bingen nachzuerzählen. Er setzte sich ohne Hose an den Schreibtisch und begann fieberhaft zu schreiben.
In der Zwischenzeit packte ich die beiden anderen ins Bett und las ihnen die fünfte und sechste Reise von Sindbad, dem Seefahrer vor. Dann wünschte ich ihnen einen erholsamen Schlaf.
»Ich hab aber Hunger«,
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