Maenner und andere Katastrophen - Roman
während ich völlig orientierungslos vor mich hinstudierte und mich wie ein Versager auf der ganzen Linie fühlte. Dabei hätte ich auch Chancen gehabt, meine wie auch immer gearteten Neigungen zu nutzen. Ich hatte doch so vieles besser gekonnt als der Durchschnitt. Die Zebrafische an meiner Badezimmerwand zum Beispiel waren überdurchschnittlich gut, meine selbstgebastelten Marionetten und mein russischer Apfelkuchen - und eigentlich auch beinahe alles andere. Doch ich war wohl nicht gut genug, denn warum hatte ich mich wohl sonst fünf Jahre lang völlig lust- und aussichtslos an der Uni herumgetrieben?
Ich war ein Versager. Ich musste ein Versager sein, wenn selbst ein Versager wie Holger mich nicht mehr wollte.
Rebecca fand, dass ich einen freien Nachmittag gebrauchen konnte, und ich schlich zutiefst deprimiert in meine Wohnung.
»Du wirst schon sehen, Judith!«, rief Kaspar mir nach, »jeder Topf findet seinen Deckel!«
Ich legte mich ins Bett. Was sollte ich auch anderes tun? Neben mir lag eines der Bücher dieser cleveren alten Engländerin, die Unmengen von Geld mit Romanen verdient, in denen jeder Topf seinen Deckel findet. Man langweilt sich gemeinsam mit der langbeinigen, schönen Heldin in Cornwall, Schottland oder London durch behagliche Wohnzimmereinrichtungen und beschauliche Gärten, bevor die Schöne auf der letzten Seite endlich Mister Wonderful in die Arme sinken darf.
Da die Bücher niveaumäßig nicht weit von »Glühende Küsse in Louisiana« anzusiedeln waren, aber als fast anspruchsvolle Lektüre gehandelt wurden, kaufte ich von Zeit zu Zeit eins davon. Dieses hier hatte ich aber nicht weiter als bis Seite zwei gelesen. Auf Seite zwei nämlich machten sich die Mutter der Hauptperson und die Autorin Sorgen darüber, dass die Hauptperson, obwohl schon zwanzig und damit kein Teenager mehr, keinerlei Anstalten machte, eine Ehe einzugehen. Die Heldin war natürlich schön, klug und reich, litt unter ständigem Appetitmangel und konnte sich vor Anträgen von gutaussehenden, erfolgreichen Anwälten und wohlhabenden Geschäftsleuten kaum retten.
Es war auf Seite zwei schon abzusehen, dass sie ihren eigenen Kopf durchsetzen und erst heiraten würde, wenn sie dafür reif war. Und das bedeutete, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erst kurz vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag dem einzig wahren Gutsbesitzer ihr Ja-Wort geben und dann dafür glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben würde.
Pfui, Teufel, war das widerlich.
Ich musste das Buch nur ansehen, und schon kamen mir die Tränen. Ich war sechs Jahre zu alt, um überhaupt noch als Heldin für einen Roman zu taugen. Und obwohl ich, genau wie die Heldin, nicht vorhatte, auf den erstbesten Heiratsantrag hereinzufallen, musste ich zugeben, dass sich bis jetzt weder erfolgreiche Anwälte und wohlhabende Geschäftsmänner noch popelige Sportstudenten mit derartigen Absichten mir gegenüber getragen hatten oder in näherer Zukunft tragen würden.
Ich war ein hoffnungsloser Fall. Das Beste würde sein, ich machte meinem Leben gleich ein Ende. Das war heutzutage ja kein Problem mehr. Man musste bloß nachts leichtbekleidet im Park umherschlendern und, wenn man ein Messer an der Kehle fühlte, den Mann mit der Maske anschreien, dass man ihn stets und überall wiedererkennen würde.
Wenn das nicht klappte, dann konnte ich mich immer noch auf die Bahngleise legen wie einst Anna Karenina. Nur, dass die keinen Grund hatte, damals. Es blieb natürlich auch die Möglichkeit, mich weiter von Eis und Chips zu ernähren und an Mangelernährung zugrunde zu gehen. Aber das konnte Jahre dauern.
Ich kletterte aus dem Bett und schlenderte ziellos in der Wohnung umher. Auf dem Bücherregal trocknete ein angebrochenes Paket
Kindergartenmodelliermasse vor sich hin, aus der ich früher manchmal einen Kopf für eine Marionette modelliert hatte. Das war lange her.
Gedankenverloren nahm ich einen Klumpen aus der Packung und machte ihn mit Wasser wieder schön geschmeidig. Dann setzte ich mich auf den Fußboden und begann zu formen. Eine kräftige Nase, ein vorspringendes Kinn mit einer tiefen Kerbe, abstehende Ohren. Ich war selbst überrascht, wie das Ding in meinen Händen mehr und mehr wie Holger auszusehen begann. Mit zunehmendem Eifer knetete ich die fleischfarbene Masse zu seinem authentischen Abbild. Es gelang mir sogar, dem Klumpen exakt den Gesichtsausdruck zu verleihen, der Holger zueigen war, wenn er vor drei Uhr nachmittags
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