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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Templeton
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geht zurück zur Fahrerseite, ruft: „Bis dann“ und ist verschwunden.
    „Ich sagte doch, das ist eine komische Familie“, murmelt meine Mutter, als wir auf die Eingangstür zusteuern.
    Ich beiße mir auf die Zunge.
    Concetta, das salvadorianische Hausmädchen der Munsons, öffnet die Tür schon, bevor wir geklingelt haben. Phyllis steht direkt hinter ihr, das Lächeln hat sie genauso sorgfältig aufgelegt wie den Lippenstift.
    „Oh, du kommst genau richtig“, ruft sie, während das Hausmädchen aus dem Blickfeld verschwindet. Dann entdeckt sie meine Mutter, die hinter mir steht. Falls Nedras unerwartetes Auftauchen sie aus der Bahn wirft, kann sie es gut verbergen. Sie umfasst mit beiden Händen eine Hand meiner Mutter, begrüßt sie, und danach breitet sie die Arme aus und hüllt mich in eine duftende Umarmung, die ich zögernd erwidere. Sie ist fast so groß wie ich, aber sie fühlt sich zerbrechlich an, mehr Illusion als Realität. Sie spürt mein Unbehagen und geht einen Schritt zurück, lässt jedoch ihre Hände zart auf meinen Armen liegen. Sympathie vermischt mit etwas anderem, was ich nicht recht definieren kann, leuchtet in ihren Augen. Ich werde ganz steif, weil ich fürchte, sie könnte etwas sagen, auf das ich keine intelligente Antwort weiß. Um ehrlich zu sein habe ich ein wenig Ehrfurcht vor dieser Frau, obwohl sie nie etwas getan hat, um eine solche Reaktion bei mir auszulösen. Abgesehen von der Tatsache, dass sie einfach perfekt ist. Doch zu meiner größten Erleichterung lächelt sie nur noch etwas breiter und betrachtet mein Outfit.
    „Du siehst absolut entzückend aus!“ ruft sie und schaut meine Mutter an, als erwarte sie deren Zustimmung. Doch sie begreift schnell, dass sie aus dieser Richtung keine Zustimmung erwarten kann, und so wendet sie sich wieder mir zu, schüttelt den Kopf, ihr perfekt geschnittenes weizenblondes Haar wischt über die in hellrosa Seide gehüllten Schultern. „Ich würde alles dafür geben, wenn ich noch einmal jung wäre und solche Farben tragen könnte! Und diese Beine!“ Sie lacht. „Vor etwa einer Million Jahre hatte ich auch solche Beine!“
    Unter ihren weißen Leinenhosen hat sie die vermutlich immer noch. Gesichter bekommen Falten und Brüste schrumpfen, aber schöne Beine gehen mit dir ins Grab, pflegte Nedras Mutter, Großmutter Bernice, zu sagen.
    „Kommt nach hinten durch“, bittet Phyllis uns mit einem leisen Lachen. „Concetta hat auf der Terrasse gedeckt, aber es ist gar kein Problem, noch ein weiteres Gedeck aufzulegen.“
    Wie immer haut mich Phyllis’ Eleganz fast um. Während sie über das Wetter oder so etwas plaudert, führt sie uns durch das klassisch eingerichtete Haus mit den dicken Teppichen, ein Haus, das hervorragend zu einem Kongressabgeordneten von Westchester und seiner magersüchtigen Frau passt.
    Auch wenn ich die Einrichtung ein wenig langweilig finde – die neutrale Farbgebung scheint dem Zweck zu dienen, jedermann zufrieden zu stellen –, hat dieses Haus etwas, was mich von Anfang an friedlich gestimmt hat. Die ordentliche, vorhersehbare Anordnung der Möbel, die Art, wie sich der üppige Teppich unter den Füßen anfühlt, die fast sakrale Stille, die uns umfängt, als wir durch das Haus zur Veranda gehen. Dieses Haus sagt aus, dass hier vernünftige Menschen leben.
    Aber da ist noch mehr, etwas, das ich bei meinem ersten Besuch vor etwa sechs Monaten in Sekundenschnelle wahrgenommen habe: Diese bewusste Perfektion des Hauses zeigt, wie eifrig die Munson-Familie vertuschen will, dass sie kein „altes“ Geld haben.
    Sie haben schreckliche Angst, einen Fehler zu machen, weshalb sie mich auch ununterbrochen gefragt haben, ob dieser Stoff oder jenes Möbelstück „das Richtige“ sei, ihnen war am wichtigsten, was ihre Gäste denken würden. Denen, die wirklich Geld haben, ist das egal. Phyllis führt uns also auf die Veranda, ihr Rücken so aufrecht, als stecke ein Stab darin, ihre Stimme sorgfältig moduliert und ohne den geringsten Hauch eines New Yorker Akzents. Ich habe das Gefühl, dass man die Angst meiner Fast-Schwiegermutter, als Blenderin entlarvt zu werden, geradezu anfassen kann.
    Ihre Unsicherheit stört mich allerdings nicht. Wenn überhaupt, dann macht sie das nur menschlicher. Erreichbarer. An ihrer Stelle würde ich wahrscheinlich dasselbe empfinden. Sie vielleicht nicht? Leider aber ist es gerade Phyllis’ Problem mit ihrer Herkunft, was sie und ihre Familie in den Augen meiner Mutter zu Blendern

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