Männer und der ganz normale Wahnsinn
Lächeln umspielt Shelbys Mund. „Aber nicht bitter.“ Dann greift sie nach meiner Hand. „Die Sache ist doch die: Gregs Mutter hat Recht. Wir sind diejenigen, die die Dinge wieder in Ordnung bringen müssen. Unsere Fähigkeit, zu verzeihen, ist keine Schwäche, egal, was Terrie denkt. Wenn überhaupt, dann beweist das nur, dass wir das stärkere Geschlecht sind.“ Ihr Lächeln wird breiter. „Außerdem, wenn wir die Männer sich selbst überlassen würden, wären wir alle bald ausgestorben.“ Sie streicht mir eine Strähne aus der Stirn. „Du musst dir einfach nur klar darüber werden, ob du mit oder ohne Greg glücklicher bist.“
Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und seufze: „Natürlich gefällt es mir nicht, wie ich mich gerade fühle. Es ist, als ob mir jemand einen Arm abgehackt hätte oder so.“
„Dann solltest du vielleicht mal in Ruhe nachdenken.“
„Willst du damit sagen, dass ich Greg noch eine Chance geben sollte, für den Fall, dass es sich so ergibt?“
„Ich will damit sagen, dass ein Mann, nur weil er ahnungslos ist, noch lange nicht hoffnungslos sein muss. Hier …“ Sie reicht mir die inzwischen blitzend saubere Ravioli-Dose. „Vergiss das nicht.“
Ich nehme sie und bringe ein müdes Lächeln zu Stande.
Als ich auf die Straße trete, fällt mich die heiße Luft an wie Groupies einen Rockstar. Ich atme so flach wie möglich, damit meine Lungen nicht verbrennen, und marschiere Richtung 96. Straße zum Stadtbus. Nach diesem kleinen Eklat in Shelbys Wohnung bin ich nur noch verwirrter. Aber ich will einfach nicht glauben, dass meine Welt auseinander bricht, auch wenn alles darauf hindeutet.
Wem mache ich etwas vor? Das gerade eben war total merkwürdig. Wenn nicht gar verdammt beängstigend. Ja, klar, wir haben über die Jahre hinweg etwa eine Million Kräche gehabt, aber noch nie so wie heute. Und wissen Sie was? Irgendwie macht mich das ziemlich sauer. Ich sollte eigentlich darauf zählen können, dass Terrie und Shelby mein inneres Gleichgewicht wieder herstellen, genauso, wie sie immer auf mich zählen können. Sie sollten mir dabei helfen, die Dinge etwas klarer zu sehen, und mich nicht noch mehr verunsichern.
Ach, vergiss es. Vergiss es einfach. Ich kann mich damit nicht beschäftigen, nicht heute. Mir ist viel zu heiß, und ich bin zu sehr in meine Probleme vertieft. Morgen werde ich vielleicht darüber nachdenken, wie man das zwischen den beiden wieder hinkriegen kann, aber nicht jetzt.
Jetzt möchte ich nur nach Hause gehen, mich richtig ausheulen, mein Buch fertig lesen, obwohl es garantiert ein Happy End hat, was mich zutiefst deprimieren wird. In meinem Apartment ist es heißer als in der Hölle, aber schließlich kann ich mich bis auf meinen Slip ausziehen, wenn ich will, und diesen Gedanken finde ich im Augenblick ziemlich ansprechend.
Auf der 96. Straße wende ich mich östlich und laufe in Richtung Broadway. Eine heiße Brise vom Fluss schlägt mir ins Kreuz wie ein freches kleines Kind, das sich in einer Warteschlange vordrängen will. Ich überhole einige Leute, als ich auf den Riverside Park zulaufe: ein junges Pärchen mit einem Kinderwagen, ein paar Jogger, einen Mann mittleren Alters mit einem Jack Russell Terrier. Gut gekleidet, wohlhabend, selbstsicher. Völlig anders als die Leute, die in meiner Kindheit hier lebten, damals, bevor in den frühen Achtzigern plötzlich alle in diesem Viertel wohnen wollten, weshalb die vielen Billighotels mit ihren definitiv nicht wohlhabenden Bewohnern weichen mussten.
Während ich an den renovierten Gebäuden mit ihren neuen Glastüren und den Türstehern davor vorbeigehe, erinnere ich mich daran, wie entsetzt meine Eltern gewesen waren, als die hilflosen Bewohner nach und nach einfach auf die Straße gesetzt wurden wie Kakerlaken nach einer Vernichtungstour. Die meisten von ihnen bekamen eine dürftige Abfindung von den Menschen, die jetzt in ihren Häusern lebten, und mussten sich der wachsenden Zahl von Obdachlosen anschließen.
Seit etwa zehn Jahren sind nicht mehr so viele Obdachlose auf den Straßen zu sehen. Ich weiß nicht, wo die alle hin sind, schließlich gibt es in Manhattan inzwischen noch weniger Platz für die Armen als zuvor. Selbst für Wohnungen in so genannten „gefährlichen Vierteln“ werden inzwischen Mieten verlangt, die nicht einmal die Mittelklasse bezahlen kann, ganz zu schweigen von denen, deren Lohn sich mal gerade am Existenzminimum bewegt. Nur die unverbesserlichen Obdachlosen sind
Weitere Kostenlose Bücher