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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Templeton
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–, was die Aufmerksamkeit von mindestens drei Polizisten und einem Notarzt auf mich zieht. Gut, vielleicht ist meine Reaktion ein wenig übertrieben, aber nur weil ich in Manhattan lebe, heißt das noch lange nicht, dass ich regelmäßig über Leichen stolpere. Davon abgesehen hatte ich meinen morgendlichen Café Latte noch nicht, und obwohl es noch nicht einmal halb neun ist, ähneln Temperatur und Schwüle ungefähr dem Klima auf dem Mars. Und ich hatte schon zuvor schlechte Laune, weil meine Frisur einer Oma-Perücke ähnelt, und Sie wissen ja selbst, wie das ist.
    „Jesus, Ginger“, ertönt eine Stimme nur wenige Zentimeter neben mir, woraufhin ich wieder aufkreische. Ich zucke herum, meine Tasche knallt gegen einen Gaffer, der dumm genug ist, eine hysterische Frau zu erschrecken –, doch dann erkenne ich, dass es sich um Nick Wojowodski handelt, der mich böse anschaut. „Was zum Teufel machst du hier?“
    Seine raue Stimme und die Falten um seinen Mund lassen mich ahnen, dass sein Morgen bisher auch nicht so toll gelaufen ist. Ich umklammere mit zitternden Händen meinen Kaffeebecher, starre ihn an, kann aber an nichts anderes denken als an diesen Kreideumriss. Und die dunkelroten Flecken, die ich darin entdeckt habe. Ich erschauere und antworte: „Ich arbeite hier.“
    „Oh“, sagt er, und hinter diesen beiden Buchstaben versteckt sich eine ganze Welt an Bedeutungen. Inzwischen beginnen sich Neugierige um uns zu scharen, einschließlich einiger der anderen Designer, der Rezeptionistin und der Schaufensterdekorateurin.
    „Jeder, der hier arbeitet, meldet sich bitte bei Officer Ruiz“, ruft Nick, sein Bariton übertönt das Stimmengewirr und beschert mir eine Gänsehaut. Ich höre, wie einige Leute nach Luft schnappen, aber eher aus Überraschung als aus Schock. Oder Bestürzung. Was Nick als Nächstes sagt, kann ich nicht verstehen, auch nicht, was die anderen reden, denn nun entdecke ich, dass der aufgemalte Umriss mir verdächtig … bekannt vorkommt. Als ob es sich um den kleinen, fast glatzköpfigen Schwulen handeln könnte, der so um die sechzig ist und dem es wahnsinnigen Spaß bereitet, mir das Leben zur Hölle zu machen. Plötzlich zieht mich Nick auf die Seite und ermuntert mich, endlich einen Schluck von meinem Kaffee zu nehmen. Ich ersticke fast daran, aber dann geht’s. Der Typ, dem der Laden daneben gehört, spricht mit der Polizei. Er sieht nicht sonderlich gesund aus.
    Nicks Augen folgen meinem Blick. „Kennst du den Kerl?“
    „Nathan Caruso. Wohnt nebenan.“
    „Er hat die Leiche identifiziert“, sagt Nick sanft. Ich starre ihn an, mein Magen krampft sich zusammen.
    „Wer …?“
    „Brice Fanning. Dein Chef, vermute ich?“
    „Scheiße!“
    Nick sieht mich etwas seltsam an, was mich bei dieser Reaktion nicht sonderlich überrascht.
    Oh Gott. Ich bin eine schreckliche, schreckliche Person. Ein Mann ist ums Leben gekommen, und das wahrscheinlich auf keinem natürlichen Wege, und mein einziger Gedanke ist: Das ist verdammt noch mal nicht fair!
    Gut, Brice war ein gemeiner, unangenehmer kleiner Mann, mit dem ich nie länger als fünf Minuten in ein und demselben Raum sein wollte – wodurch unsere wöchentlichen Meetings etwas problematisch waren –, aber trotzdem war er ein menschliches Wesen und verdient somit etwas mehr Respekt – wenn nicht sogar ein klein wenig Trauer.
    Ich halte ein oder zwei Sekunden die Luft an … nee, tut mir Leid, es geht nicht. Ich mochte den Typ nicht, als er noch lebte, und jetzt ist es mir relativ egal, dass er tot ist.
    Wenn Sie jetzt nicht mehr weiterlesen wollen, kann ich das absolut verstehen.
    Aber – mein Gott. Brice war Fanning Interiors. Ich war nur eine von vielen, eine aus der kleinen Armee von Designern, die Brice beschäftigt hat. Erst vor kurzem habe ich begonnen, mir einen eigenen Ruf unabhängig von Fannings aufzubauen, aber ich weiß sehr wohl, dass ich längst nicht so weit wäre, wenn Brice mir vor sieben Jahren keine Chance gegeben hätte. In vielerlei Hinsicht bin ich diesem Mann etwas schuldig.
    Und jetzt ist er nicht mehr als ein Kreideumriss auf dem Bürgersteig. Oje. Der arme Kerl, der ihn gefunden hat …
    „Wie ist er gestorben?“ brülle ich über den Lärm des konstant quäkenden Polizeifunks hinweg.
    Auf Nicks Gesicht spielt sich das komplette Repertoire der verschiedensten emotionslosen Polizei-Masken ab, aber sein Kinn ist voller Stoppeln, als ob er nicht genug Zeit gehabt hätte, sich zu rasieren, und unter

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