Männer und der ganz normale Wahnsinn
riesig mit hohen Decken, die Holzböden leicht verbogen, die Hunderte Male gestrichenen Wände und Decken mit Stuck verziert. Die Fenster sind vor sieben oder acht Jahren erneuert worden, aber ich kann mich noch daran erinnern, wie mein Vater darüber Witze machte, dass man die Windgeschwindigkeit daran abschätzen könnte, wie stark sich die Vorhänge bauschen.
Es sollte mich nicht überraschen, dass ich in diesem Haus an meinen Vater denken muss. Ich betrachte die Fotos, die schief an der Wand vor der Küche hängen, und als ich ein Bild von meinem fünften Geburtstag sehe, kurz nachdem wir aus einer winzigen Dreizimmerwohnung hierher gezogen sind, beginnen meine Augen zu brennen.
Neben meinem Vater sieht Nedra richtig klein aus. Leo – die Kurzform von Basilio – Petrocelli war einsneunzig mit dickem, lockigem schwarzen Haar und einem Vollbart. Mein Gott, wenn er lange genug gelebt hätte, um weiße Haare zu bekommen, wäre er der perfekte Weihnachtsmann geworden, auch wegen seines dröhnenden Lachens. Gekleidet in fast identische Matrosenpullis und Hosen, lächeln wir alle in die Kamera, mein Vater hat einen Arm besitzergreifend um meine Mutter gelegt. Ich stehe zwischen ihnen, beide halten mich an der Hand.
Ich sehe auf jeden Fall sehr glücklich aus, nicht wahr?
Ich wende mich ab und schüttle den Kopf, als ich einen Blick ins Wohnzimmer werfe. Das ist eines der beiden Zimmer, bei denen es Nonna inzwischen aufgegeben hat, überhaupt noch aufzuräumen. „Weniger ist mehr“ ist definitiv eine Idee, die meine Mutter nicht teilen kann. Stapel aus Büchern und Papier und Zeitschriften sehen aus wie eine betrunkene Skyline und bedecken den Platz, der nicht mit Möbeln zugestellt ist, die zu meiner Zeit angenehm verwohnt waren, jetzt aber erbärmlich abgewetzt sind. Ich frage mich, ob das daran liegt, dass sie noch immer den Großteil ihres Gehalts spendet. Oder daran, dass sie es einfach nicht fertig bringt, ihre Tochter anzurufen und mit ihr etwas Anständigeres auszusuchen?
Nedras Schlafzimmer, das ehemalige Esszimmer, liegt direkt neben dem Wohnzimmer. Durch die halb geöffnete Flügeltür sehe ich ausrangierte Kleidungsstücke und noch mehr Bücherstapel, die mit der Anzahl an Zeitschriften und Papieren, die auf ihrem ungemachten Bett herumliegen, konkurrieren.
Ich muss lächeln. Ja, das ist meine Mutter, eine Frau, die viel zu beschäftigt ist, um ihr Zimmer aufräumen zu können.
Und dann gibt es da meine Großmutter, denke ich, als ich vor einem Zimmer stehen bleibe, das einen Marinesoldaten erbleichen lassen würde. Oder eine Nonne. Unter einem Kreuz (ein großes, auffälliges, grausiges Ding, das ich als Kind total faszinierend fand) steht ein schmales Bett, sorgfältig gemacht, außerdem gibt es einen Schaukelstuhl ohne Armlehnen, den sie vor über fünfzig Jahren aus Italien mitgebracht hat. Auf der dunklen Holzkommode steht nur die Statue einer Madonna auf einem Häkeldeckchen. Kein Fusselchen Staub ist auf dem verdammten Ding zu finden.
Wie nur ist es diesen beiden Frauen gelungen, so lange zusammen zu leben, ohne einander umzubringen?
Und wie merkwürdig, dass ich keiner von beiden ähnlich bin.
Als ich wieder in „meinem“ Zimmer bin, stelle ich den Ventilator auf der Kommode an, krabble aufs Bett – das ich noch nicht gemacht habe – und setze mich im Schneidersitz hin, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Kinn in den Händen. Ich mache eine Bestandsaufnahme meiner Gefühle. Gar nicht so schlecht eigentlich, aber auch nicht gut. Normalerweise wäre es jetzt meine Art, Pläne zu schmieden und zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Aber aus irgendeinem Grund ist es nicht so. Ich weiß nicht, ob ich einfach keine Lust habe oder zu erschöpft dafür bin.
Ich sollte ein Zickentreffen einberufen.
Andererseits vielleicht lieber nicht. So wie es mir gerade geht, würde mir Terries Zynismus den Rest geben.
Ganz zu schweigen von Shelbys heiterem Lächeln.
Seufzend bewege ich meinen Hintern vom Bett und beschließe herauszufinden, wie viel meiner Vergangenheit meine Mutter noch bei sich behalten hat. Schließlich ist es ja nicht so, als ob ich vor lauter Terminen keine Zeit hätte. Der Zedernholzschrank ist ziemlich groß und hat eine Menge Regale und Fächer. Als ich klein war, habe ich meine Mutter immer geärgert, indem ich mich darin versteckt und nicht geantwortet habe, wenn sie mich rief … so lange, bis der Klang ihrer Stimme mir verriet, dass sie langsam richtig sauer wurde.
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