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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Templeton
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Aber ich fand es immer nett, wenn niemand mich finden oder nerven oder meine Gedanken unterbrechen konnte. Mit zehn oder elf allerdings war ich zu groß dafür geworden, was ich sehr traurig fand, denn von nun an hatte ich keinen Ort mehr, an dem ich alleine sein konnte.
    Ich ziehe an der Schnur, um das Deckenlicht anzustellen. Wahnsinn. Hier sind meine ganzen Teenagerjahre für alle Ewigkeit weggeräumt – die Kleider, die Poster, alles ineinander gerollt in einer Ecke, außerdem Kartons voll Bücher.
    Und ganz oben in den Fächern eine fleckige, schäbige Holzkiste, die noch immer nach Leinsamenöl und Terpentin riecht.
    Irgendetwas rumort in meinem Magen, etwas, von dem ich dachte, ich hätte es längst vergessen. Ich ziehe die Kiste hinunter, beinahe wäre sie mir auf den Kopf geknallt, dann trage ich sie zu meinem Tisch und öffne sie. Mein Herz klopft wie verrückt, in meinen Fingern kribbelt es, wie bei einer Frau, die ihren Geliebten nach zu vielen Jahren der Trennung endlich entkleidet.
    Die verbogenen, ausgequetschten Tuben liegen eng nebeneinander, deformiert und verschmiert. Ich nehme eine heraus, drücke sie sanft zusammen und stelle fest, dass der Inhalt noch flüssig ist. Die meisten anderen Kinder im Kunstunterricht haben damals lieber mit Acrylfarben gemalt, weil die Farben heller waren und schneller trockneten. Ich nicht. Ich mochte den Geruch der Ölfarben, die subtile Tiefe der Farbe, ihre Geduld, wenn laienhaft mit Schattierungen und Mischungen experimentiert wurde. Damals war ich ungeheuer romantisch, und ich liebte das Gefühl, mit Künstlern des vergangenen Jahrhunderts verbunden zu sein.
    Ich habe ungefähr angefangen zu malen, als ich zu groß für den Schrank geworden war.
    Stundenlang wanderte ich durch die Welt, die ich mit meinen Pinseln erschaffen hatte, mir nicht mehr länger all des Kommens und Gehens in unserer Wohnung bewusst. Meine Eltern ermutigten diese Experimente und kauften mir alles, was ich brauchte, unabhängig davon, wie teuer eine Tube oder ein Pinsel waren.
    Selbst in den Wochen, in denen wir uns ausschließlich von Käse-Makkaroni ernährten.
    Meine Güte, das sind doch nicht etwa Schuldgefühle, die da hochkommen, oder?
    Ich grabe noch tiefer und finde einen Stapel Leinwände, manche halb bemalt, andere nur vorbereitet. Und meine alte Staffelei ist auch noch da.
    Dann marschiere ich in das dritte, jetzt leer geräumte Schlafzimmer, jenes, das Nedra mir als Büro angeboten hatte.
    Es ist das einzige Zimmer, das nach Norden geht. Ein zerbeultes Schränkchen, ein paar Stühle und leere Wände. Die alte Jalousie schnellt nach oben, als ich daran ziehe, klares, helles Licht durchflutet den Raum.
    „Du hast deine Malsachen gefunden, was?“
    Obwohl meine Mutter sehr leise spricht, fahre ich bei ihrer Stimme zusammen. Ich werde aus meinen Träumereien gerissen. Mein Gott – was habe ich mir nur dabei gedacht? Dass ich wieder anfangen könnte zu malen? Als ob der Grund, warum ich seinerzeit damit aufgehört habe, plötzlich nicht mehr existieren würde?
    „Du hättest diesen ganzen Krempel schon vor Jahren wegschmeißen sollen“, sage ich, meine Stimme klingt schrill und hohl in dem leeren Raum.
    „Warum, es war nicht mein Krempel.“ Eine Diele knarrt, als sie mit verschränkten Armen ins Zimmer kommt. Sie läuft zum Fenster, kämpft einen Augenblick damit und reißt es dann auf. Eine heiße Brise dringt in den Raum, gespickt mit Verkehrslärm, Stimmen, Kindergeschrei. „Das wäre ein tolles Atelier, nicht wahr?“
    Ich sehe mich um und zucke die Achseln. „Kann sein.“
    Nedra lässt sich auf einen der Stühle fallen, ein hässlicher alter Stuhl, den ich schon immer hasste. „Du warst gut, Ginger. Ich habe nie verstanden, warum du damit aufgehört hast.“
    Ihre Worte rufen gleichzeitig Stolz und Ärger in mir hervor. Nedra lobt einen nicht nur so zum Spaß. Genauso wenig ist sie aber in der Lage, einmal die Dinge mit den Augen des anderen zu betrachten.
    „Du weißt verdammt gut, warum ich aufgehört habe.“
    „Weil du lieber den leichtesten Weg gehen wolltest.“
    „Weil ich keine am Hungertuch nagende Künstlerin sein will. Ich bin nicht der Typ dafür. Das weißt du genau.“
    „Nicht alle Künstler verhungern.“
    „Nein, nur die meisten. Komm schon – wie viele deiner Freunde haben es jemals überhaupt zu was gebracht, ganz zu schweigen davon, es bis an die Spitze geschafft? Du weißt verdammt gut, dass es genug Probleme gibt, die verhindern, dass man

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