Maenner weinen nicht
den Tagesablauf und strukturieren so das Leben der Patienten: Aufstehen, Frühstück, Therapie, Mittagessen, Therapie, Abendessen. Mehr als einmal will Biermann die Klinik verlassen, denkt trotz der Medikamente daran, aus dem 5. Stock der Klinik zu springen. Doch die Fenster lassen sich nicht öffnen, die von außen angebrachten Eisenstäbe vereiteln den erneuten Suizidversuch. Und Biermann wird wieder enttäuscht: Von seinem Verein lässt sich kaum jemand blicken, die Fans scheinen ihn schnell vergessen zu haben.
Es dauert viele Therapiestunden, bis er sich eingestehen kann, dass er wirklich krank ist. Er lernt sich selbst kennen und entdeckt einen Andreas, den er lieber nicht kennengelernt hätte. Träume und Illusionen der letzten Jahre erweisen sich als schwerer Ballast, von dem er Abschied nehmen muss. Das Wichtigste, was er nach 58 Tagen Klinikaufenthalt mitnimmt, beschreibt er in seinem autobiografischen Buch: »Das Verständnis, dass ich nicht allein bin und dass es nichts Schlimmes ist, depressiv zu sein.«
Doch selbst eine intensive stationäre Therapie schützt nicht immer vor Rückfällen. Über zwei Jahre nach seinem letzten Suizidversuch teilte Andreas Biermann am 14. Februar 2012 via Facebook mit, dass er sich »in der Nacht vom 9. zum 10.2. versucht habe … das Leben zu nehmen und … seitdem wieder in stationärer Therapie befinde.«
Interview: »Eine Grenze, die uns entspricht«
Oskar Holzberg, Psychotherapeut in Hamburg, schreibt seit vielen Jahren für die BRIGITTE , Deutschlands wichtigste Frauenzeitschrift. In seinen Beiträgen widmet er sich psychologischen Themen und gesellschaftlichen Fragen und reflektiert über zwischenmenschliche Beziehungen. Oft, so seine Erfahrung, scheitern Paartherapien an dem Unvermögen der Männer, sich ihren Gefühlen und Ängsten zu stellen – und der fehlenden Einsicht, wirklich etwas ändern zu müssen.
Herr Holzberg, wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken: Sind Männer noch immer so therapieresistent?
Männer sind mittlerweile williger, eine Psychotherapie zu machen und sich ihren Problemen zu stellen. Aber Frauen fällt es noch immer leichter, ihr Leid einzugestehen, ihre Unzufriedenheit zu sehen und ihre Schwierigkeiten zu bearbeiten.
Dann sind es also eher die Frauen, die ihre Männer zur Therapie schicken?
Nicht unbedingt. Aber ihr Drängen ist oft noch wichtig. Eine Therapie zu beginnen, wird mittlerweile häufig zur Bedingung dafür gemacht, dass die Beziehung überhaupt noch weitergeht. Aber es gibt auch eine starke Einsicht und Bereitschaft, sich professionelle Hilfe zu holen.
Studien belegen, dass depressive Männer andere Symptome zeigen als Frauen und ihre Depressionen deshalb häufiger übersehen werden. Mit welchen Symptomen kommen depressive Männer in Ihre Praxis?
Süchte. Männer flüchten gerne in Süchte: Koks, Affären, Arbeit, Alkohol, Internetpornografie, Sport. Das ist für Männer offenbar der einfachste Weg, ihre unangenehmen Gefühle loszuwerden. Und das fällt ja auch erst mal nicht auf: Statt nur joggen zu gehen, macht der Typ eben nun Triathlon. Viel gearbeitet hat er schon immer. Ob er nun wirklich im Netz recherchiert oder vor dem Bildschirm onaniert, merkt erst mal keiner. Und abends eine Flasche von diesem unglaublich guten Rotwein aus Frankreich wegzuziehen, ist genauso unverdächtig.
Welches Symptom bei einem – wie sich später herausstellte – depressiven Mann hat Sie am meisten bewegt?
Eine ganz massive, unversöhnliche Härte und aggressive Rücksichtslosigkeit, die man zunächst nicht mit einer Depression in Verbindung bringt. Im Englischen nennt man das »ruthlessness«. Dieser Mann hat seine Frau ständig beschimpft, beschuldigt und entwertet. Er war darin nicht zu stoppen, egal, ob es um die falsch aufgehängte Klopapierrolle ging oder ob ihm das Essen nicht schmeckte. Die Kleidung, der Gang, ihr Tun – er ging auf alles los, was seine Frau machte. Seine Fähigkeit zur Selbstkritik war dagegen völlig verloren gegangen. Sicher hat jeder von uns einen wunden Punkt, bei dem er aus der Haut fährt. Dieser Mann aber war wie ein einziger wunder Punkt, ständig aggressiv, hoch geladen.
Das hört sich nach einem echten Problemfall an. Wie haben Sie das aufgelöst?
Augenscheinlich war, dass der Mann ihm unangenehme Gefühle und Konflikte abgewehrt hat. Jedes Thema kam ihm zu nah, hat ihn überfordert; deshalb hat er verbal derartig um sich geschlagen. Ich habe ihm zur Einzeltherapie geraten. Er blieb
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