Männerküsse: homoerotische Geschichten (German Edition)
gehakten Armen ihre Runden.
Ich hatte nicht vermutet, dass rote Schals so beliebt sind. Ich habe heute Dutzende gesehen. Feuerrot, weinrot, gestrickt, gewebt, mit Fransen oder Mustern. Den ganzen Nachmittag hindurch kam ich mir wie ein Stier vor, den besagtes Tuch verrückt macht. Aber Thomas schafft es ja auch, mich vor Geilheit halb in den Wahnsinn zu treiben. Und Rot steht ihm einfach am besten; das werden die Seile beweisen, die ich speziell für ihn – oder vielmehr für uns – gekauft habe.
Um 19:43 Uhr piept meine Armbanduhr und ich stelle den Alarm aus. Meine Kehle ist trocken und meine Finger eiskalt. Ich weiß, dass er pünktlich sein wird. Und dann hat das Warten endlich ein Ende. Ich erkenne ihn und beobachte begierig, wie er auf mich zukommt. Er hat eine geschmackvolle Wahl getroffen. Bordeauxrot, edler Stoff – wahrscheinlich Cashmere –, dazu umgibt ihn ein herber Duft nach Aftershave, der mir den Atem raubt.
»Einmal Größe 47, bitte.«
Als ich das erste Mal seine Stimme höre, weiß ich, dass sich für ihn alle Mühe lohnen wird. Ich blicke auf seine Hände, die das Portemonnaie herausholen. Ich kann alte, beinahe verblasste Striemen an seinen Handgelenken erkennen; für so etwas habe ich immer schon ein Auge gehabt. Ich stelle ihn mir in Handschellen an den Fuß meines Bettes gekettet vor und werde augenblicklich steif. Zugleich könnte ich vor Wut meine Zähne fletschen, bei dem Gedanken, dass jemand anderes bereits in den Genuss kam, ihn so zu sehen und anzufassen.
»Drei Euro«, sage ich bestimmt und blicke ihm ins Gesicht. Seine Augen sind azurblau, wie er es mir beschrieben hat. Schade, dass dies das vorerst letzte Mal sein wird, dass er mich ansehen darf.
Er lächelt und sucht passendes Kleingeld. Es kostet mich Überwindung, mich ihm nicht zu offenbaren. Ein wenig Anstrengung fördert ja den Appetit, wie man so schön sagt. Trotzdem kann ich mich nicht völlig zurückhalten. »Einen ausgesprochen schönen Schal hast du da.«
Ich drehe mich um und nehme ein Paar Schlittschuhe in der genannten Größe aus dem Regal. Dann hole ich die vor mir liegenden Münzen zu mir heran und lasse sie klimpernd in die Kasse fallen, anschließend reiche ich ihm die Schuhe. Als er sie mir abnimmt, berührt er für einen winzigen Moment meine Finger und es durchzuckt mich.
»Viel Vergnügen«, wünsche ich ihm.
Er senkt die Augen und geht schweigend davon. Ich weiß, dass er mit niemandem mehr reden wird. Ich ziehe mir die Jeans im Schritt zurecht und muss einen Schluck Wasser trinken. Ich bin aufgeregt und genieße es, dass mir nach all der Zeit wieder jemand solche Gefühle bescheren kann. Lange habe ich auf einen wie ihn warten müssen.
Eine viertel Stunde später ist meine Schicht zu Ende und ich werde abgelöst. Ich friere und hätte gern ein Glas Glühwein getrunken, doch das steht nicht zur Diskussion. Langsam spaziere ich über den frisch gefallenen Schnee neben der Bahn und lausche dem Knirschen unter meinen Schuhen und den Geräuschen der vorbeiziehenden Eisläufer. Es sind nur noch wenige Besucher auf der Bahn und meine Augen finden mühelos ihr Ziel. Ich hätte Eleganz in der E-Mail gar nicht betonen müssen, seine ganze Erscheinung strahlt Würde und Disziplin aus. Er muss sehr gut geschult worden sein. Ich würde zu gern wissen, wer sein erster Trainer war.
Ich umrunde die Eisbahn und genieße sein vorbildliches Verhalten. Zwei Flirtversuche von Frauen in den Mittdreißigern umgeht er mit einem Lächeln und einem Schütteln des Kopfes. Es fängt wieder stärker an zu schneien und die weißen Flocken glitzern inseinem dunklen Haar, bis sie nach einiger Zeit geschmolzen sind. Bald schon werde ich wissen, wie seine nasse Haut riecht und schmeckt.
Die Eisbahn leert sich immer mehr. Die Temperatur scheint um weitere Grade zu fallen, doch ich spüre die Kälte kaum noch. Für ein paar Minuten verliere ich mich in den Atemwolken, die seiner Nase und seinem Mund entweichen. Nachdem er wieder an mir vorbeigefahren ist, klettere ich über die Brüstung und stelle mich in die hintere linke Ecke. Ich hefte meinen Blick auf ihn, als er in meine Richtung gelaufen kommt, und lasse keinen Zweifel daran, dass meine Aufmerksamkeit ganz allein ihm gehört. Auch wenn er die Augen nur auf den Boden gerichtet hält, erkennt er, dass ihm jemand im Weg steht. Er wird langsamer und hebt den Kopf – nicht aber die Augen.
»Thomas. Halt an!«, sage ich laut genug, damit er mich hört, kurz bevor er mich
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