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Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt

Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt

Titel: Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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überlegen nahm ich den nächstmöglichen Flieger nach Nizza.
    Es war einer jener milden Oktobertage, die man gerne mit »es war einer jener milden Oktobertage« beschreibt, wobei das »jener« auf das Erlebnisreservoir des Lesers schielt. Also schräges, leicht milchig-müdes Sonnenlicht, der kalt/warm verquirlte Wind treibt kleine Staubkreisel und tanzende Piniennadeln durch die Straßen, es riecht nach üppigem Gestern. Der Rilke-Blues kriecht hoch. Die terracottafarbene Villa
Le Minotaure
am
Chemin du Phare
auf Cap Ferrat, in der Anselm und Saskia gelebt hatten, lag verlassen da. Ich klingelte vergeblich. Ob der Schlüssel noch passte, den Anselm mir vor Jahren gegeben hatte, als ich häufig bei ihm zu Besuch war? Den Knopf auf der Rückseite der Gartenmauer zum Öffnen des Gartentores fand ich noch, und er funktionierte. Ich betrat den pinienschattigen Vorgarten und ging auf das Eingangsportal zu, das links und rechts zwei Zypressen wie grüne Ausrufezeichen einrahmten, als plötzlich eine schrille Alarmsirene anschlug und Blendleuchten unter dem Dachfirst hysterisch zu blinken begannen. Hatte von Anselm zuletzt also doch noch die Kleinhäusler- und Wachhundmentalität, die er so vehement verabscheute, Besitz ergriffen oder hatte sich seine Haushälterin Véronique durchgesetzt? Ich machtemich rasch davon. Keine Reaktion aus den umliegenden Villen auf die Sirene. Unterwegs nach Beaulieu kam mir ein Streifenwagen entgegen. Die Gendarmen darin sahen nicht gerade so aus, als wären sie vom Jagdfieber befallen.
    Eine alternde Frau, wenn sie sich freizügig wie ein Teenie kleidet, hat etwas Obszönes. Genauso kam mir nun die
côte
vor nach den paar Jahren, die ich sie nicht besucht hatte. Es hatte auch Beaulieu erwischt. Zu grell das
rouge
, zu leblos das architektonische Botox der herausgeputzten Häuschen. Oben am Marktplatz, an der
Avenue Marinoni
setzte ich mich ins
Grand Caffè
gegenüber dem platanengesäumten Platz, auf dem ich mit Anselm so oft Pétanque gespielt hatte. Die seltsame Schreibweise Caffè ging auf Fabrice zurück, den früheren Besitzer, einen nicht nur in der Orthographie extrem eigenwilligen Korsen. Nach seinem Tod hatte Tochter Michelle das Lokal übernommen, und wenn ich Anselm besuchte, kam ich mit ihm täglich hierher, um nach dem Pétanque das ein oder andere Glas Weißwein zu trinken und die wild behaarten Waden Michelles zu bewundern.
    Heute bringt mir eine Blondine von der durchtrainierten Dürre einer Marathonläuferin und mit litauischem Akzent den Kaffee. Ansonsten gibt sich die Zeit Mühe als stehengeblieben zu erscheinen. Drüben unter den Platanen spielen vier ältere Herren Pétanque, am Nebentisch unterhalten sich zwei junge Mädchen über Jungs und warum das eine oder andere Date danebenging, wobei sie weniger einander anschauen als apathisch und doch erwartungsvoll auf die Benutzeroberfläche ihrer Smartphones starren. Ich hatte alle Interviews, die ich damals mit Anselm geführt hatte, digitalisiert und auf mein Smartphone geladen. Nun hole ich es hervor, lege es auf den Tisch und stecke mir die Stöpsel in die Ohren.
  2
    Kennengelernt hatte ich Anselm vor knapp zwei Jahrzehnten im Casino von Beaulieu. Damals arbeitete ich an einer Biographie über David Niven, der ein begeisterter Spieler war und das Casino von Beaulieu häufiger besuchte, nachdem er dort Mitte der 60er-Jahre einen – was denn sonst? – Heiratsschwindlerfilm zusammen mit Marlon Brando gedreht hatte. Das Casino strahlte eine Exklusivität aus, die nicht von protziger Größe, sondern intimer Detailliebe geprägt war. Gegen 22 Uhr, zur »Pflückzeit«, wie ich später lernte, erschien Anselm im Spielsaal. Ich hatte gerade einen tollen Lauf am Roulettetisch 3, und Anselm wäre mir deshalb sicherlich nicht aufgefallen, wenn durch sein Erscheinen der Saal nicht quasi eine andere elektrische Aufladung erfahren hätte. Die Croupiers schauten hoch, schienen für den Bruchteil einer Sekunde ihre routinierte Konzentration zu verlieren. Wie alle energiegeladenen Männer war Anselm kein Hüne, er glich eher einem Kugelblitz. Onassis ohne Tankerflotte. In den Hormonhaushalten mancher Damen im Raum wurde nun Alarmstufe rot ausgelöst.
    Ich konnte nicht anders, ich musste den Mann beobachten, wie er rasch den Raum scannte, die Aufmerksamkeit, die er auf sich zog, demonstrativ negierte und sich bewegte, als wäre er in einem Wachsfigurenkabinett die einzig lebendige Figur. Er hatte nicht den Hochmut der Eleganz, diese

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