Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
auch nur annähernd repräsentativ nennen kann. Dass sie Moden unterworfen ist, spricht dafür. Auf Zeiten, in denen die Seelenbehandlung als Zeichen von Schwäche galt, folgten Perioden, wo sie in den Metropolen geradezu als Ausweis sozialverantwortlichen Bewusstseins hofiert wurde. Zurzeit scheine sie das Image der Hardcore-Version von Wellness zu haben, klagt Jenny.
»Du schreibst ein Buch über Männerlügen?« Es scheint sie zu amüsieren.
»Okay, das ist Tautologie. Wie der weiße Schimmel oder der kleine Zwerg. Aber es gibt Lügen, die Männer nicht lügen.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel die Botox-Lüge oder die Silikon-Lüge. Bei uns ist eine glatte Stirn eher Zeichen von Gedankenarmut, und eine ausgeprägte Brust deutet auf zu viel Genuss hormonverseuchten Schweinebratens statt auf Sinnlichkeit hin. Oder ist wirklich erarbeitet im Fitness-Studio. Dafür lügt ihr nicht bei der PS-Stärke, weil ihr die sowieso nicht wisst, und nicht beim Kontostand.«
»Wird sich ändern. Jetzt sollen wir Frauen in die Vorstände von Dax-Unternehmen, da müssen wir das Lügen, Täuschen und Betrügen genauso beherrschen wie ihr Männer. Mehr noch: Wir müssen es lieben, sonst können wir es nicht.«
»Das hat der große Friedrich schon vorausgesehen.« Ich zeige Jenny das Nietzsche-Zitat auf meinem Laptop. Sie überfliegt es. »Wo hast du das her?«
»Nietzsche, ›Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn‹.«
»Moment.« Jenny eilt nach unten in ihre Praxis, kommt mit einem Stapel Papiere wieder zurück.
»Was ist das?«, will ich wissen.
»Lies noch mal vor. Lies bitte das Zitat noch mal vor. Ab ›Im Menschen …‹«
»… Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: Hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-Reden, das Repräsentieren, das Im-erborgten-Glanze-Leben …«
Jenny fällt mir ins Wort, liest aus ihren Papieren weiter: »… das Maskiertsein, die verhüllende Konvention, das Bühnenspiel vor anderen und vor sich selbst, kurz, das fortwährende Herumflattern um die eine Flamme Eitelkeit so sehr die Regel und das Gesetz, dass fast nichts unbegreiflicher ist, als wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen konnte.«
»Stimmt.«
Jenny ist völlig verwundert. »Der hat das auswendig gelernt! Wort für Wort!«
»Wer?«
»Ich habe seit drei Wochen ein Paar in Therapie. Das Übliche: Ehekrise, wenn überhaupt, dann nur ungewürzter Sex, werfen sich gegenseitig Seitensprünge vor, von denen keiner bewiesen oder zugegeben ist, Trennung kommt nicht in Frage …«
»… wegen der Kinder?«
»Nein, Kinder sind keine da. Sie fürchten die gesellschaftliche Stigmatisierung, berufliche Nachteile …«
»Und die vorzeitige Abwicklung des Hypothekendarlehens.«
»Möglich. Weiß ich nicht. Davon haben sie nichts erzählt.«
»Von was dann?«
»Die streiten sich. Die streiten sich einmal auf dem Level von Asozialen, dann wieder auf dem Niveau eines philosophischen Hauptseminars, und zwar so intensiv, dass ich kaum dazwischenkomme.«
»Thema?«
»Lüge, Wahrheit, Treue und Betrug.«
»Mein Thema. Sind das Transkripte der Sitzungen?«
Jenny nickt. »Die haben darauf bestanden, dass alles aufgezeichnet und dann abgetippt wird. Völlig unüblich. Irgendwas stimmt nicht mit denen.«
»Darf ich mal sehen?«
»Hier, aber for your eyes only. P. ist er, C. ist sie, Th. bin ich.« Ich steige mittendrin ein.
C: Eine Welt ohne Lügen, sagst du einfach so, wäre nicht auszuhalten? Warum eigentlich nicht? Nur weil du …
P: … möchtest du wirklich hören, dass deine vermaledeite Morgenzigarette dein Gesicht aufschwemmt, wie das von Pompidou damals bei seiner Cortisonbehandlung?
C: Tut mir leid, Pompidou ist eher deine Generation. Außerdem will ich mich damit doch nur vor einem Morgenkuss von deinen faulig riechenden Lippen schützen. Zähneputzen ist bei dir eine Abendveranstaltung.
P: Ich habe schon lange nicht mehr …
C: … geküsst? Stimmt. Ansonsten kann ich nur aus einem Film zitieren, den ich gestern gesehen habe: ›Du hattest während unserer Ehe wesentlich mehr Sex als ich.‹
P: Das entspricht ganz und gar nicht der Wahrheit.
C: Wahrheit? Du nimmst das Wort in diesen Mund, den du erst heute Abend ausspülen wirst?! Sie müssen nämlich wissen, dass er behauptet, so etwas wie die Wahrheit existiere gar nicht.
Th: Eine Frage, wie man Wahrheit definiert, oder?
P: Jetzt kommen Sie mir nicht
Weitere Kostenlose Bücher