Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
verlogen.«
»Nein, verlogen sind die nicht. Die sind wünschwahr. Deshalb hasse ich sie.«
Ich muss erst gar nicht versuchen, alles im Leben zu verstehen, dachte sich Arno. Vielleicht gerade deshalb begann die Frau ihn zu interessieren, so wie man sich für die Mechanik einer alten Kirchturmuhr interessiert. Ein in sich geschlossenes System zur Darstellung von so etwas Fiktionalem wie der Zeit. Oder wie hier des geschlossenen Systems weiblicher Logik.
Ein Zweiertisch auf dem Trottoir vor dem Cuba Livres war noch frei. Arno requirierte ihn durch Handzeichen ins Café. Eine karibische Schönheit winkte bestätigend zurück. DieKinobesucherin nahm ihre Sonnenbrille ab, warf einen Blick ins Innere des Cafés. Den Raum rahmten übermannshohe Bücherwände ein.
»Das Mädchen ist Kubanerin?«
»Rosa, ja. Sie betreibt das Café zusammen mit ihrer Schwester Clara.«
»Beide haben Literatur studiert und dann das Café aufgemacht und es Cuba Livres genannt, stimmt’s?«
»Sie kennen es also doch?«
»Nein. Ich bin nur allergisch gegen diese grassierende Wortspielsucht im Gastronomiebereich. Schnörkelkloß, Art-genossen, Schnabuleum, Bullerei und so was. Statt Cola mit Rum – Cuba libre – also Cuba Livres, kubanische Bücher auf Französisch. Wenn man sagt, was es ist, ist der Witz weg.«
»Hi, Arno.«
»Hi, Clara.« Sie war mindestens so schön wie ihre Schwester, vor allem, wenn sie, wie jetzt, lächelte.
»Un café con leche para mi«, bestellte die Kinobesucherin.
»Und für mich …«
»… doppelter Espresso, wie immer?«
»Wie immer.«
Die Kinobesucherin sah Clara nach. So konnte Arno nun ihre Augen studieren. Sie waren graugrün. Eindeutig hatten sie dem Kampf zwischen Kinn und Nase den Vortritt gelassen. Harmonie sieht anders aus, dachte Arno und ärgerte sich sofort, weil er Sätze mit »… sieht anders aus« nicht mehr hören konnte, geschweige denn denken wollte. Jedenfalls ließ sich nun das Alter der Kinobesucherin abschätzen. Sie war wohl Ende 30.
»Die weiß zu genau, dass sie schön ist und das macht sie hässlich.«
»Sie können auch deutsch mit ihr sprechen. Die Schwestern sind hier geboren.«
»Mit diesen Namen? Rosa und Clara?«
»Nach Rosa Luxemburg und Clara Zetkin. Ihr Vater war einer der kubanischen Arbeiter- und Bauernsöhne, die die DDR in ›unverbrüchlicher Freundschaft‹ zum Máximo Líder in Karl-Marx-Stadt auf Weltniveau Chemie studieren ließ. Nach dem Ende der DDR …«
»So viel Zeit bleibt jetzt nicht. Okay? Ich wollte Ihnen erzählen, was sich da im Kino abgespielt hat.«
»Das Was habe ich mitbekommen, das Warum zu erfahren wäre schön.«
»Keine Ironie, sonst bin ich weg.«
»So. Der Milchkaffee und der Espresso.« Clara lächelte Arno an. Die Kinobesucherin registrierte stumm, dass Arno zurücklächelte.
»Muchas gracias.« Ihr Beharren auf dem Spanischen klang irgendwie trotzig. Die Kinobesucherin sah die Straße hinunter, während sie erzählte. »Ich kann nichts dafür, dass Sie in meiner Reichweite waren, aber als ich die Szene mit dieser … na.«
»Emma Thompson.«
»… mit dieser Emma Thompson sah, da … Ich habe vor zwei Wochen das Gleiche erlebt, allerdings nicht mit Joni Mitchell, sondern mit Leonard Cohen, dem alten Punzennässer.«
»Dem was?«
»So hat ihn Franks Vater, also mein Schwiegervater, immer genannt, Punzennässer. Wenn du damals in den 70ern, sagte Franks Vater, Cohens ›Suzanne‹ oder ›Bird on a wire‹ aufgelegt hast, dann waren die Mädels klargemacht. Du brauchtest nichts mehr zu tun, Leonard hat das alles für dich erledigt.«
»Bei mir war es George Michael.«
»Ah ja? Der Schwule?«
»Das wusste ich damals nicht. Der hat sich erst spät geoutet. Und außerdem: Er musste ja, wie Sie sagen, ›die Mädels klarmachen‹ und nicht mich.«
Das schien sie zu beruhigen. »Gut. Also: Drei Tage vor meinem Geburtstag fand ich – genau wie im Film, wahnsinnig! Wie im Film! –, ich fand in Franks Mantel …«
»Frank ist Ihr Mann?«
»Natürlich. Einen Ring. Ich fand in seinem Mantel einen
Ring.«
»War er so billig wie das Collier im Film?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn nicht gesehen, er war ja als Geschenk in einer Schatulle verpackt. Ich freue mich also auf meinen Geburtstag und was kriege ich? Die neueste CD von Leonard Cohen. LEONARD COHEN!«
»›Old Ideas?‹«
»Sie kennen die?«
»Ich kenne Leute, die von ihr schwärmen.«
Hektisch kramte die Kinobesucherin in ihrer Handtasche, fand endlich ihr
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