Maennerschlussverkauf - Roman
»ganz anders ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hat«, schlug ich ihm mit aller Theatralik, die ich in diesem Moment aufbringen konnte (was angesichts meiner unglaublichen Wut kein allzu großes Kunststück war), meinen maßangefertigten Chiffonschleier mit den handgestickten chinesischen Kirschblüten aus Wildseide, den ich von der Anprobe mitgebracht hatte, um die Ohren. Immerhin gelang es mir dadurch, Marcel zur Flucht in die Küche zu bewegen, und anstatt eine unüberlegte Straftat zu begehen und den Mistkerl mit meinem japanischen Keramikmesser (ein Geschenk meiner Mutter) abzustechen, rauschte ich mit wehenden Haaren zurück ins Schlafzimmer, zerrte wie von Sinnen unsere alten Ersatzreisekoffer unter dem Bett hervor und begann das Innenleben meines Kleiderschranks herauszureißen und so gut es ging in den Hartschalenkoffern zu verstauen.
Irgendwie schaffte ich es bis auf meine Handtaschen und die Winterkleiderabteilung sowie ein paar anderen Kleinigkeiten (na ja, das graue Seidenkostüm von Zara habe ich sowieso nie wirklich richtig gemocht) tatsächlich, den Großteil meiner Lieblingssachen im Wurf-und-Knüll-Verfahren in den alten Koffern unterzubringen. Die neuen standen schon fertig gepackt für die Flitterwochen bei Marcels Eltern. Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden (zum Beispiel mit dem Heraussuchen meiner Lieblings- DVD s inklusive der Limited- Sex-and-the-City- Premium-Edition, die Julia nun unbedingt noch für mich abholen muss), schnappte ich mir dann Marcels Autoschlüssel vom Schlüsselbrett im Flur und flüchtete gemeinsam mit den beiden Koffern und ein paar vollgestopften Tragetaschen in seinem graumatten Audi mit qualmenden Reifen (das laute Quietschen auf dem Asphalt war wenigstens eine minimale Genugtuung) zu meiner Freundin Julia.
Dort musste ich mich dann (der Lage durchaus angemessen) erst einmal heillos betrinken und kiloweise Pommes in mich hineinstopfen (Marcel hasst es nämlich, wenn ich Pommes esse, weil die einer Anwaltsgattin und ihrem dünnen Hintern nicht würdig sind). Dann bat ich Julia, meine Mutter anzurufen und dieser die Aufgabe zu überlassen, die Welt über die geplatzte Hochzeit ihrer Tochter zu informieren. Ich selbst zog es vor, mich in den folgenden vierundzwanzig Stunden erst einmal vor der Außenwelt zu verstecken und mich totzustellen. Na ja, abgesehen von einem Anruf bei Leonie, meiner allerbesten Freundin, und ein paar Not-Onlineshopping-Einkäufen, die ich dringend tätigen musste , nachdem Leonie mir im Eilverfahren ein neues Leben und einen neuen Job organisiert hatte.
Leonie lebt in München und war am Telefon über die Maßen begeistert, dass ich den »verklemmten, arroganten Anwaltsvollidioten«, wie sie sich ausdrückte, endlich in den Wind geschossen hatte. Nachdem sie mir neunzig Minuten lang erklärt hatte, wie froh ich doch sein könne, und mich zum geschätzten siebenundfünfzigsten Mal zu meiner richtigen Entscheidung beglückwünschte, fing ich fast selbst an zu glauben, dass die Trennung von Marcel meine Entscheidung war und nicht das Resultat der Couchgymnastik dieser fremdgehenden Kanaille. Meine genuschelten Einwände (Julias ordentlich gefülltes Prosecco-Lager für Krisenzeiten hatte mich glücklicherweise hinreichend betäubt) ignorierte Leonie einfach und verkündete, das Wichtigste für mich seien jetzt erst einmal die zwei großen A: Abstand und Ablenkung. Und zwar nicht nur von Marcel, sondern auch von meiner laut Leonie völlig durchgedrehten Mutter, die meine Freundin offenbar laut keifend angerufen und sie zu überzeugen versucht hatte, mich doch noch zu der Hochzeit zu überreden. Selbstverständlich ohne Erfolg.
Stattdessen stellte meine fabelhafte Freundin einen Plan auf, wie wir die zwei großen A so schnell wie möglich realisieren konnten: Ich würde sofort und ohne große Umwege zu ihr nach München ziehen und in derselben TV -Boulevard-Redaktion anfangen. Leonie war im vergangenen Monat zur leitenden Redakteurin befördert worden und hatte ausgerechnet letzte Woche als eine ihrer ersten Amtshandlungen eine junge Redakteurin gefeuert, die sich am Mann einer Kollegin vergriffen hatte (Ha! Nieder mit den Fremdgängern!). Die laut Leonie komplett talentfreie Redakteurin hatte es geschafft, sich innerhalb von sechs Monaten aufgrund ihrer Berichterstattung acht einstweilige Verfügungen von Anwälten dünnhäutiger Prominenter einzufangen, weshalb sie sowieso auf der Abschussliste stand.
Nun wurde in der Redaktion also
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