Männerstation
sind nicht der einzige Patient im Krankenhaus. Ich muß weiter! Bücken Sie sich, damit ich Ihnen die Injektion machen kann.«
Ambrosius stand unschlüssig vor der jungen, hübschen Schwester. Sein gerötetes Gesicht drückte Scham und Unsicherheit aus.
»Na, nun mach schon, Kleiner!« rief Ernst Brohl. »Zeig mal dem Schwesterchen, was du hast!«
»Idioten!« sagte Ambrosius gepreßt. Paul Seußer bekam in diesem Augenblick wieder seinen Schluckauf.
»Ich sag's ja«, rief er nach dem ersten Hicks, »es ist alles nervenbedingt!«
»Wie lange soll ich noch warten?« sagte Schwester Innozenzia. »Ich kann Ihnen die Spritze nicht durch die Hose geben.«
»Bitte –« Ambrosius drehte sich um. Er schob die Schlafanzughose herunter und bückte sich nach vorn.
»Alle Hämorrhoiden herhören!« schrie Ernst Brohl fröhlich. »Richtet euch!«
»Oje!« sagte Ambrosius. Die Injektionsnadel stak im Fleisch, langsam drückte Schwester Innozenzia die Flüssigkeit in den Muskel. Noch ein Ruck, ein Wattebausch auf den Einstich. Hastig zog Ambrosius die Hose wieder hoch. Er legte sich wortlos ins Bett und starrte an die Decke. Erst als Schwester Innozenzia mit ihrem Verbandswagen das Zimmer wieder verlassen hatte, richtete sich Ambrosius auf.
»Ihr seid eine gemeine Bande!« sagte er laut.
»Laß die Schwestern in Ruhe, mein Junge.« Hieronymus Staffner mischte Karten. Vor dem Mittagessen gab es immer eine Skatrunde mit Brohl und Dormagen. Paul Seußer fiel aus wegen seines Schluckaufs; der machte ihn unaufmerksam. Und Karl Frerich, der Selbstmörder, spielte nie mit; er lag, wie schon seit zwei Wochen, still und fast wortlos in seinem Bett, las ab und zu in den Zeitungen oder vertiefte sich in ein Buch. Aber es waren keine Liebes- oder Kriminalromane, wie sie die anderen sich aus der Krankenhausbibliothek ausliehen, sondern geschichtliche Werke. Zuletzt: Die Kulturen der Inkas.
»Was geht das euch an? Habt ihr die Schwestern gepachtet?«
»Nicht frech werden, Kleiner!« Staffner teilte die Karten aus. »Und wenn du Schwester Inge so dämlich anquatschst, kommt eines Nachts der Heilige Geist zu dir. Das kennste noch nicht! Dazu gehört Erfahrung, was, Ernst?«
Ernst Brohl nickte weise. »Man hört die Engelchen singen! – Donnerwetter! Pik solo!«
Die ersten Karten knallten auf die Nachttischplatte. Lukas Ambrosius wandte sich ab. Irgendwie zahl ich euch das heim, dachte er giftig. Ihr arroganten Lümmel! Was geht das euch an, wenn mir ein Mädchen gefällt … ob ohne oder mit Schwesternhaube? Unter dem Stoff sind sie alle gleich … nur das interessiert einen Lukas Ambrosius …
*
Nach der ›Chefstunde‹, die Prof. Morus dieses Mal dazu verwandte, amerikanisches Klinikmaterial vorzuführen und zu erklären, daß man in den USA in der Chirurgie um Jahrzehnte weiter sei als in Deutschland, weil man in Amerika die Wissenschaftler nicht als Spinner und Staatskassenbelaster, sondern als Pioniere des menschlichen Fortschritts betrachtete, fing Oberarzt Dr. Pflüger beim Hinausgehen der Schwestern den Krankenpfleger Beißelmann ab.
Beißelmann trug das Skelett fort; an der Stange, an der es aufgehängt war, trug er es vor sich her wie einen Schellenbaum. Die mit Drahthaken und Schlingen aneinander befestigten Knochen und Knöchelchen klapperten leise, wenn sie gegeneinanderschlugen. Eine Augenhöhle des Skeletts war rot … man hatte bisher nicht herausgefunden, wer – mit einem Lippenstift – diesen Streich vollbracht hatte. Um diese Demonstration dummer Zerstörungswut bloßzustellen, hatte Prof. Morus angeordnet, die Augenhöhle nicht zu reinigen. So stand seit drei Jahren das Skelett mit einem roten Auge vor den staunenden Schwestern.
Beißelmann stellte das Gerippe zwischen sich und Dr. Pflüger und sah durch die Rippen hindurch auf den Oberarzt.
»Was wollen Sie?« fragte er dumpf.
»Ich habe mit Ihnen zu sprechen.« Dr. Pflüger wartete, bis die Schwestern das Zimmer verlassen hatten. Auch Prof. Morus ging an ihnen vorbei und sagte: »Bitte, kommen Sie gleich zu mir, Kollege Pflüger!«
Beißelmann wischte mit dem Zeigefinger über die rotgeschminkte Augenhöhle.
»Wir sollten nicht darüber sprechen, Herr Oberarzt.«
»Frau Staffner befindet sich in einem ziemlich aufgelösten Zustand. Sie können sich denken, daß …«
»Bei allen Dingen, die man tut, ist ein Risiko dabei.«
»Das sind schöne Worte, Beißelmann.« Dr. Pflüger tippte nervös auf das große Schulterblatt des Skeletts. »Versetzen
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