Männerstation
farblosen Lippen und eingesunkenen Augen. Nur das leise, pfeifende Atmen, das über ihre Lippen kam, unterschied sie von einer Toten.
»Margot …«, weinte Staffner und hielt sich am Fußende des Bettes fest. »Margot … was ist denn los …?«
»Es wird noch etwas dauern, bis sie erwacht.« Die Stationsschwester sprach mehr zu Beißelmann als zu Staffner, der sie sowieso nicht verstand. »Und dann nur fünf Minuten, mehr nicht. Es steht nicht gut.«
Beißelmann nickte. Er wandte sich wieder Staffner zu, zog ihn zu einem Stuhl und drückte ihn darauf nieder. Staffner ließ die Krücken fallen und schlug beide Hände vor die Augen.
»Können Sie das verstehen … mein Gott … können Sie das verstehen, Beißelmann …«, weinte er. »In vier Tagen wäre ich doch zu Hause gewesen … und wir hatten keine Sorgen … gar nichts … Es war ein Unglücksfall … es kann ja gar nichts anderes sein.«
Beißelmann schwieg. Er betrachtete Margot Staffner, und fast schien es, als sei er zufrieden, daß sie so dalag auf der Grenze zwischen Weggehen und Weiterleben. Sein abgrundtiefer Haß, die sein Wesen völlig verändernde Enttäuschung vor elf Jahren, als er seine eigene Frau in den Armen eines anderen Mannes antraf und beide erwürgte, diese Dunkelheit in ihm, die niemand mehr erhellen konnte … alles in ihm war irgendwie zufrieden. Sie hat ihren Mann betrogen, dachte er. Sie hat ihn verraten, weil er sein Bein verlor. Sie war wert, so zu enden. Warum trauern?!
Er sah auf Staffner. Er hatte die Hände vom Gesicht genommen und blickte seine Frau an mit traurigen Augen voller vergebender Liebe. Beißelmann schnaufte durch die Nase.
Man sollte ihm die Wahrheit sagen, verdammt, man sollte es tun. Du Rindvieh von einem Mann! Was sitzt du noch hier und heulst? Ist sie es wert? Sind es die Frauen überhaupt wert? Sieh dich doch um, du jammernder Idiot! Prof. Morus wurde betrogen, ich wurde betrogen. Frerich wird es noch immer – wohin man sieht, nur Gemeinheit, Niedertracht, Betrug, Lüge! Und so ist es überall … nur sieht und hört man es nicht, denn der Mensch hat es gelernt, eine Maske zu tragen, und was wir von ihm sehen, ist nur ein Kostüm, das bunte Bild einer Komödie, hinter deren Kulissen die ganze Abscheulichkeit tobt, aus der der Mensch gemacht ist! Darum heule nicht, verdammt noch mal!
Aber er sagte nichts. Er setzte sich in den Hintergrund und wartete auf das Erwachen Margot Staffners. Dr. Bernfeld kam ins Zimmer und mit ihm ein unbekannter Herr. Ein Beamter der Kriminalpolizei. Er hatte die Aussage Dr. Pflügers bereits protokolliert und wartete nun auf eine Bestätigung von Frau Staffner. Prof. Morus, der bei dem Verhör zugegen gewesen war, hatte noch einen Kommentar dazu gegeben:
»Ich kenne Frau Staffner«, hatte er gesagt. »Sie ist eine labile Persönlichkeit. Es ist ohne weiteres möglich – einen anderen Grund wüßte ja niemand von uns –, daß sie in einem Anflug von Depression diese Tat beging …«
Später, als der Kriminalbeamte hinüber zur Frauenstation gegangen war, standen sich der Chef und sein Oberarzt gegenüber.
»Das war das letztemal, daß ich etwas für Sie tun konnte«, sagte Prof. Morus schroff.
Dr. Pflüger hatte einen hochroten Kopf. »Ich … ich danke Ihnen, Herr Professor«, sagte er leise. Morus winkte ab.
»Ich habe nicht Ihnen geholfen, sondern meinem Hause. Ich will nicht, daß solche Schweinereien an die Öffentlichkeit kommen! Wir haben genug andere Sorgen. Und man soll einen Berufsstand auch nicht beurteilen nach einem einzelnen Schuft.«
»Herr Professor!« keuchte Dr. Pflüger.
»Jawohl, nach einem Lumpen!« schrie Morus. »Ihre chirurgischen Fähigkeiten zweifle ich nicht an, sie sind gut … aber als Mensch sind Sie ein Schwein! Und nun gehen Sie. Mir ist der Tag genug verdorben worden!«
Hieronymus Staffner sah auf den fremden Mann neben Dr. Bernfeld. Der Beamte hielt es für nötig, sich vorzustellen. Staffners Blick wurde wieder hilflos.
»Kriminalpolizei?« stotterte er. »Aber warum denn? Bei einem Unfall …«
»Das wollen wir eben feststellen.« Der Beamte sah auf einen Notizzettel. »War Ihre Frau schwermütig? Hat sie irgendwann mal geäußert, daß sie sterben wolle …?«
Staffners Kopf fuhr zu Beißelmann herum. Dr. Bernfeld war es, der ihn von einer Antwort erlöste.
»Bitte, seien Sie still, meine Herren«, sagte er leise. »Ich glaube, sie erwacht.« Er setzte sich auf die Bettkante und ergriff Margot Staffners Hände. »Vermeiden
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