Männerstation
Querschläger von den Rippen im Schulterblatt festgestellt.
»Wer ist denn das dumme Luder?« fragte Prof. Morus und trat neben Dr. Pflüger.
»Frau Staffner.«
»Staffner? Staffner? Woher kenne ich den Namen?«
»Ihr Mann liegt auf der Station III. Oberschenkelamputation.«
»Und deswegen knallt sie drauflos? Weil ihm ein Bein fehlt?! Wie lange liegt sie denn schon herum?«
»Knapp zehn Minuten.«
»Wie bitte?« Prof. Morus starrte seinen Oberarzt ungläubig an. »Haben die Nachbarn so flott geschaltet?«
»Sie hat sich in meinem Zimmer erschossen.«
»In Ihrem …« Morus strich sich über die weißen Haare.
»Ja.« Dr. Pflüger seifte seine Unterarme mit einer harten Bürste. »In meinem Zimmer.«
»Ich glaube, Sie werden mir nach der Operation einiges erklären müssen, Pflüger.«
»Selbstverständlich, Herr Professor.«
»Die Dame war mit Ihnen bekannt?«
»Ja.«
»Das alte Lied also!«
»Ja.«
»Fühlen Sie sich stark genug, die Operation durchzuführen oder soll ein Kollege sie machen?«
»Nein, Herr Professor.« Dr. Pflüger spülte die Arme ab. »Ich habe die Nerven dazu.«
»Gut. Ich erwarte sofort nach der Operation Ihren Bericht … bei mir.«
Prof. Morus trat an den OP-Tisch heran und sah Margot Staffner in das blutleere Gesicht. Der nackte Körper war abgedeckt bis auf die Brustpartie mit dem kleinen, geschwärzten Einschußloch. Wo die Schnittführung gehen sollte, war die weiße Haut braun mit Jod bepinselt. Schwester Innozenzia zählte die Instrumente, Klemmen und Tupfer. Der Narkosearzt saß bereit.
Morus stand stumm vor Margot Staffner. Er dachte zurück an jenen Tag vor vier Jahren, an dem auch er eine Pistole in der Hand gehalten hatte, versteckt hinter einer Tür, und mit eigenen Ohren anhören mußte, wie seine um zwanzig Jahre jüngere Frau ihn mit ihrem Tennispartner, einem Fabrikantensohn, betrog. Damals hatte er nicht geschossen, nach langem, qualvollem Zögern, das sein Herz zerriß … er war gegangen, hatte die Pistole eingesteckt, und hatte draußen an der Tür seiner Villa geschellt. Dann war er in das Gartenzimmer gegangen, wo dann der Tennisspieler unbefangen saß und ihn höflich und mit einem Diener begrüßte. Nur das Gesicht der Frau Professor war etwas gerötet, mit hektischen Flecken übersät, und die weißblonde, gepflegte Frisur wies Merkmale der Zerstörung auf, die mit modernen Haarklammern notdürftig gehalten waren.
»Hinaus!« hatte er gesagt. Ganz ruhig, ganz gefaßt. »Hinaus mit euch! Ich will keinen von euch wiedersehen …«
Sie waren gegangen, und er war Marion, seiner Frau, nie wieder begegnet. Die Scheidung war eine Anwaltssache, nur noch eine Formalität. Wo sie heute lebte, was sie tat, wie es ihr ging – er wußte es nicht, und es interessierte ihn auch nicht. Er hatte abgeschlossen.
»Holt sie zum Leben zurück«, sagte Morus leise zu Schwester Innozenzia. »So einfach ist es nicht, sich von den Dingen zu lösen. Das ist Feigheit … und ich hasse feige Menschen …«
Er verließ den OP, als Dr. Pflüger und Dr. Bernfeld an den Tisch traten. Der Oberarzt sah ihm nach, das Skalpell schon zwischen den Fingern.
»Was hat der Alte gesagt?« fragte er leise.
»Wir sollen sie retten. Sie sei ein Feigling. Es klang so, als wolle er sie mit dem Weiterleben bestrafen.«
Dr. Pflüger nagte unter dem Mundschutz an der Unterlippe. »Sie haben ihn falsch verstanden, Schwester«, sagte er heiser. »Ich beginne.«
»Überdruck ist da«, meldete der Narkosearzt.
Das chirurgische Messer glitt über die Haut, der Schnitt klaffte auf, die ersten Tupfer und Klemmen wurden angereicht.
Der Kampf um das Leben begann.
*
Es war Paul Beißelmann, der Hieronymus Staffner mitteilte, daß seine Frau eine Etage tiefer auf dem OP-Tisch lag, eine 08-Kugel in der Brust.
Er tat es nüchtern wie immer. »Stehen Sie auf, Herr Staffner, und kommen Sie mit«, sagte er.
»Wohin denn?« Staffner schob das erhaltene Bein aus dem Bett, griff nach den Krücken und stemmte sich hoch. Beißelmann half ihm, den Bademantel anzuziehen und kämmte ihm sogar mit ein paar Strichen die Haare, da Staffner seine Hände für die Krücken brauchte.
»Maniküren brauche ich mich nicht?« fragte Staffner. Lukas Ambrosius lachte und winkte ihm zu.
»Jetzt kannste was erleben!« rief er Staffner zu. »Alle, die nach Wochen entlassen werden, untersucht man auf Ehetauglichkeit! Hieronymus, sei stark!«
Beißelmann führte Staffner ohne Entgegnung aus dem Zimmer. Lukas Ambrosius
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