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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unterhalten.
    »Siehst du, Erna«, hatte er gesagt, »nun bin ich doch der erste von uns. Ich hab es dir ja immer gesagt … und eigentlich habe ich auch nie geglaubt, daß es ein Weiterleben nach dem Tode gibt.«
    »Heinrich … es ist doch nicht soweit«, hatte Erna Dormagen geantwortet. »Der Professor hat vorhin noch gesagt …«
    »Es gibt keine Wunder, Erna.« Dormagens Augen sahen starr an die Decke, über die das Licht der Nachttischlampe in Kreisen tanzte. »Aber jetzt … jetzt, Erna … ist es merkwürdig. Jetzt freue ich mich, daß ich Willi wiedersehen werde …«
    Erna Dormagen senkte den Kopf und verkrampfte die Hände in den Schoß. Willi war ihr einziger Sohn gewesen. Kurz vor der Vollendung seines neunzehnten Lebensjahres hatte ein LKW sein Moped gestreift, und er war ohne Sturzhelm gefahren. Er war sofort tot … Sie hatten es nie überwunden, auch wenn die Zeit andere Probleme schaffte und immer neue tägliche Sorgen. Im Wohnzimmer der Dormagens hing das Bild Willis über der Anrichte, in einem mit schwarzem Flor drapierten Goldrahmen. Ein blonder, frischer Junge, lachend und lebensfroh, mit Haaren, die im Wind flatterten. Jeden Tag sahen die Dormagens dieses Bild an, aber sie sprachen nicht mehr darüber. Jeden Tag hielten sie eine stumme Zwiesprache mit dem lachenden Jungenkopf, siebzehn Jahre lang.
    »Ja, du wirst Willi wiedersehen«, sagte Erna Dormagen kaum hörbar.
    »Das ist doch schön, Erna … nicht wahr …?«
    »Ja. Heinrich, das ist wunderschön …«
    »Es ist gar nicht schwer, zu sterben …« Dormagen drehte den Kopf zu seiner Frau. »Unser Junge ist ja da …«
    »Nimm mich mit, Heinrich …«, sagte Erna Dormagen tonlos. »Nimm mich mit … was soll ich denn noch ohne dich auf der Welt? Wenn du gehst … ich bleibe nicht allein zurück. Ich komme nach, Heinrich …«
    »Das … das würde dir Willi nie verzeihen, Erna.« Heinrich Dormagen streckte sich. Die Schmerzen kamen wieder. Die kurze Pause der geistigen Klarheit versank wieder im Feuer, das in seinem Körper loderte. Er glitt zurück in ein Wimmern und in ein Zucken hilfesuchender Hände, und sein flehender Schrei: »Helft mir doch! Helft mir doch!« zitterte durch die Tür auf den Stationsflur.
    »Erna …«, stammelte er noch einmal in einem kurzen Aufleuchten von Klarheit. »Erna … halt mich fest … halt mich ganz fest …«, dann schlug er mit den Beinen gegen die Matratze und preßte die Hände auf den Leib.
    Schwester Angela kam mit der Morphiumspritze. Es war die letzte Injektion. Noch während sie die Flüssigkeit in den Schenkel drückte, würgte Dormagen und erbrach einen süßlich-fauligen, schwärzlichen, wie Kaffeesatz aussehenden Mageninhalt. Schwester Angela tupfte alles mit großen Zellstoffstücken weg und schlug langsam das Kreuz über ihrer Brust. Erna Dormagen faltete die Hände und begann stumm zu beten.
    Wenig später betrat Schwester Inge das Zimmer, sah die beschmutzte Bettwäsche und begann vorsichtig das Kissen abzuziehen und in einen frischen Bezug zu stecken. Erna Dormagen half ihr dabei; sie hielt den Kopf ihres Mannes hoch, während Inge den Bezug wechselte.
    »Ich danke Ihnen, Schwester«, sagte sie dabei. »So braucht er nicht im schmutzigen Bett zu sterben.«
    In der Teeküche zog Schwester Angela die Augenbrauen hoch, als Inge mit dem schmutzigen Kopfkissen hereinkam. Sie stand am Sterilisator und legte Spritzennadeln ein.
    »Woher?« fragte Schwester Angela. »Doch nicht etwa aus dem kleinen Zimmer?«
    »Doch.« Schwester Inge warf den Bezug in den Korb für schmutzige Wäsche, die jeden Tag von der Krankenhauswäscherei abgeholt wurde. »Der Bezug war völlig …«
    »Ich weiß, ich weiß.« Schwester Angela klappte den Deckel des Sterilisators mit einem Schlag zu. »Aber Sie sehen doch, wie es um Herrn Dormagen steht! Warum dann noch ein frisches Kissen? Es ist Ihnen bekannt, daß wir sparen sollen.«
    »Er kann doch nicht …«
    Schwester Angela wischte die Antwort mit einer herrischen Handbewegung weg. »Was kann er nicht?! Immer Widerreden von den jungen Dingern! In einer halben Stunde ist alles vorbei, und dann noch ein neues Kissen! Sie müssen noch viel lernen, Inge!«
    »Das werde ich nie lernen!« Es brach aus ihr heraus, und Schwester Angela fuhr wie gestochen herum.
    »Was soll das heißen?«
    »Ich bin als Schwester für die Kranken da, nicht für die Buchführung der Verwaltung.«
    »Das ist ja wohl der Gipfelpunkt der Frechheit!« Die Stimme Schwester Angelas wurde laut

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