Männerstation
einmal fragen, wenn Frau Staffner sich etwas erholt hat«, sagte er abweisend. »Ich habe das Gefühl, daß hier etwas faul ist … und wenn Beierlein etwas spürt, hat er bisher immer recht behalten.«
Margot Staffner krallte die Nägel wieder in den Wandputz. Ihre Stimme war schrill und zerbrach, als sie rief:
»Ich möchte allein sein … ich möchte nichts mehr hören … Geht doch … geht!«
Dann weinte sie in das Kissen, unterbrochen von einem hellen Ächzen, wenn das Schluchzen die Wundschmerzen wieder weckte.
Dr. Bernfeld winkte und verließ als erster das kleine Zimmer. Beißelmann folgte unmittelbar hinter Beierlein und zog die Tür leise hinter sich zu. Hieronymus Staffner blieb bei seiner Frau. Aus der Teeküche kam die Stationsschwester. »Wie geht es, Herr Doktor?« fragte sie.
»Der Ehemann ist bei ihr. Ich halte es für gut, wenn Sie nach ein paar Minuten hineingehen und ihr eine MO geben. Vor allem darf sie in den ersten drei Tagen – falls sie überlebt – nicht allein gelassen werden.«
»Wie soll ich das machen?« Die Ordensfrau hob beide Hände, als müsse sie betteln. »Ich habe für vierzig Patientinnen zwei freie Schwestern. Das wissen Sie doch, Herr Doktor. Ich könnte mindestens noch drei Schwestern brauchen; wir haben allein zwölf schwere Fälle auf der Station, die beobachtet werden sollen.«
Dr. Bernfeld nickte ernst. »Wenn ich mich zerreißen könnte, Schwester Theresa, um aus den einzelnen Stücken junge Schwestern zu machen, ich würde es tun!«
»Ich weiß, Herr Doktor. Es ist überall so. Auch vom Mutterhaus bekommen wir nichts, es ist kein Nachwuchs da.« Schwester Theresa sah auf die Tür des kleinen Zimmers. »Ich werde, so gut es geht, mich selbst um sie kümmern. Aber nachts, Herr Doktor …«
»Ich werde Schwester Inge schicken«, sagte Beißelmann dumpf. Dr. Bernfeld schüttelte den Kopf.
»Sie hat erstens frei, und zweitens können auch Sie nicht immer Nachtwache machen, Beißelmann.«
»Ich kann.«
»Sie kommen dabei auf den Hund! Tag und Nacht auf den Beinen …«
»Es ist die einzige Weise, in der ich leben kann. Schwester Inge wird kommen.«
»Das werden wir dem Chef überlassen.«
Die Tür des kleinen Zimmers sprang auf. Hieronymus Staffner klapperte auf seinen Krücken auf den Flur. Er war leichenblaß, seine Haare hingen ihm ins Gesicht … mit offenem Mund lehnte er sich an die Wand und rang nach Luft wie ein Erstickender.
Dr. Bernfeld und Beißelmann waren mit ein paar Schritten bei ihm und hielten den Schwankenden. Schwester Theresa eilte in das Zimmer und schloß die Tür.
»Was haben Sie denn?« fragte Dr. Bernfeld erschrocken. »Herr Staffner, was ist denn?« Er sah auf die Tür, aber sie öffnete sich nicht. Gestorben kann sie nicht sein, sonst wäre Schwester Theresa längst wieder herausgekommen. »Was ist denn?« fragte er noch einmal und lauter als vorher.
Hieronymus Staffner sah Beißelmann und den Arzt an, als erkenne er niemanden mehr.
»Sie … sie hat mich hinausgeworfen …«, stammelte er völlig fassungslos. »Sie will mich nicht sehen … nie mehr sehen … Sie … sie hat gesagt: Ich will nicht mehr zurück. Sie hat mich hinausgeworfen …«
Sein Kopf sank nach vorn gegen die Brust Dr. Bernfelds. Ein wildes Schluchzen schüttelte seinen Körper. Er hatte die Beherrschung verloren. Dr. Bernfeld hielt den weinenden Mann fest und sah über dessen zuckende Schulter auf Beißelmann.
»Verstehen Sie das?« fragte Dr. Bernfeld etwas hilflos.
Beißelmann nickte langsam. »Ja«, sagte er mit seiner dumpfen Stimme.
»Ja? Mann – das ist doch wider aller Vernunft.«
»Was ist denn vernünftig in unserem Leben?« Beißelmann steckte die großen Hände in die Kitteltaschen. »War es vernünftig, Frau Staffner zu retten …?«
»Beißelmann, was reden Sie da für einen Blödsinn!«
»Die meisten Menschen sind blind.« Beißelmann wandte sich ab. »Aber es ist furchtbar, als einzelner alles sehen zu müssen.«
Mit nach vorn hängenden Schultern ging er fort, den langen Flur entlang zum Aufzug. Dr. Bernfeld sah ihm stumm nach, noch immer den schluchzenden Staffner festhaltend.
Eine Ahnung dämmerte in ihm auf und schlug wieder ein Stück aus seinem Idealismus heraus.
*
Am Abend, kurz vor der Ausgabe des Abendessens, starb Heinrich Dormagen.
Er starb ruhig, fast gelassen, mit einem beseelten Gesicht und im herrlichen Schweben des Morphiumnebels. Bevor er die letzte Injektion bekam, hatte er sich noch mit seiner Frau
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