Männerstation
sah ihnen verwundert nach. Daß der Krankenpfleger auf den Scherz nicht einging, war irgendwie alarmierend.
»Da ist was los, Jungs«, sagte er zu den anderen im Zimmer 5. »Wenn Beißelmann keinen Witz mehr versteht … Aber was soll gerade mit Staffner los sein? Der ist doch gesund.«
Auf dem Flur blieb Staffner stehen. Das Gehen an den Krücken machte ihm noch sehr große Beschwerden, die Last des Körpers, die das gesunde Bein tragen mußte, erzeugte in der Wade ein Zittern und so etwas wie einen Krampf.
»Was ist denn los, Herr Beißelmann?« fragte er.
»Sie werden gebraucht«, sagte Beißelmann dumpf.
»Wo denn?«
»Auf der Frauenstation I.«
»Auf der …« Staffner grinste breit. »Beißelmann, machen Sie keine geilen Witze!«
»Man erwartet Sie dort.«
»Nun hören Sie auf!« Staffner klapperte mit den Krücken. »Was ist denn wirklich los?«
»Wir fahren tatsächlich zur Frauenstation. Ihre Frau will Sie sehen.«
»Meine …« Staffner lehnte sich gegen die Flurwand. »Was macht denn meine Frau auf … Beißelmann … Mensch … was macht denn meine Frau auf der Station?«
»Sie liegt dort.«
Staffners Gesicht wurde bleich und ratlos. »Ein … ein Unfall?«
»So kann man es nennen.«
»Schwer …?« Staffner würgte an dem Wort. Beißelmann sah ausdruckslos an ihm vorbei.
»Das wird sich herausstellen. Sie operieren gerade.«
»Operieren …« Staffner umkrallte die Krückenholme. Seine Stimme schwankte. »So … so schlimm. Ein Auto …«
»Nein. Eine Pistole.«
»Eine … was?« stotterte er.
»Eine Pistole«, wiederholte Beißelmann.
»Und Margot hat … hat …« Er wollte sich über das Gesicht fahren, aber er konnte die Krücken nicht loslassen. So kreiselte er mit dem Kopf, als gewänne er damit Luft.
»Sie hat abgedrückt. Ins Herz …«
»Beißelmann!« Es war ein dumpfer Schrei. Staffner schwankte, eine Krücke fiel aus seiner Hand. Beißelmann fing den Vornüberstürzenden auf, drückte ihn gegen die Wand, hob die Krücke auf und schob sie ihm wieder unter die Achsel. »Beißelmann …«, stammelte Staffner und hielt den Krankenpfleger an der Schulter fest. »Was … was ist denn passiert? Sie hat sich … hat sich selbst … Aber warum denn? Warum denn?«
»Darum gehen wir ja zu ihr.« Beißelmann trat zurück. Staffner folgte ihm, mit tackenden Krücken, schwankend, den Beinstumpf in der umgeschlagenen und mit einer Sicherheitsnadel festgesteckten Schlafanzughose hin und her schwankend.
»Sie hatte doch gar keinen Grund …«, stotterte er dabei und sah Beißelmann wie ein hilfloses Kind an. »Sie hatte doch überhaupt keinen Grund!«
Auf der Frauenstation I kamen sie zu früh an. Margot Staffner war noch im OP. Aber das Bett war schon bereit, in einem Einzelzimmer. Staffner suchte wieder Halt an der Wand.
»Sie stirbt …«, sagte er kaum hörbar. »Sie kommt in das kleine Zimmer … Sie stirbt …«
Die Stationsschwester kam zu ihnen. Sie hörte die letzten Worte und sah Beißelmann fragend an.
»Der Ehemann«, sagte der Krankenpfleger.
»Wir geben Ihrer Frau das Einzelzimmer, damit sie in den ersten Tagen Ruhe hat«, erklärte die Stationsschwester. Hieronymus Staffner schüttelte den Kopf.
»Sie brauchen mich nicht zu belügen, Schwester. Ich kenne das. Ich bin seit sechs Wochen hier.«
Sie mußten fast eine Stunde warten, bis der zugedeckte OP-Wagen aus dem Fahrstuhl rollte. Staffner saß auf einem Stuhl am Fenster … er konnte sich nicht auf seinen Krücken so schnell aufrichten, wie das Bett an ihm vorbeirollte. Er sah nur ein Gewirr kastanienbrauner Haare auf einem weißen Laken und die Abzeichnung eines starren Körpers.
»Margot!« stammelte er und drückte die Stirn gegen die Krücken. »Margot …«
Dann war das Bett in dem kleinen Zimmer verschwunden. Es dauerte ein paar Minuten, bis die Stationsschwester auf den Flur kam und Beißelmann zunickte. Staffner zog sich an der Hand des Krankenpflegers hoch, aber er konnte nicht gehen. Seine Arme waren zu schwach geworden, die Krücken zu bewegen, das gesunde Bein knickte immer wieder ein.
Und plötzlich weinte er. Der große, starke, rauhe Mann weinte wie ein Kind und sah Beißelmann mit zuckendem Gesicht flehend an.
»Ich kann nicht … ich kann nicht …«, weinte er. »Ich kann nicht gehen …«
Beißelmann faßte ihn unter. Mehr getragen als selbst gehend, kam Staffner in das kleine Zimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, im Bett lag Margot Staffner, bleich, noch in tiefer Narkose, mit
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