Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
kaufte auf dem Markt Sperlingsoliven und füllte den ganzen Krug bis zum Rand mit den frischen Früchten. Das Gold aber nahm er an sich.
Einen Monat später erhielt er die Nachricht, daß Ali Chodschah aus Schiras aufgebrochen und auf der Heimreise nach Bagdad sei. Da erschrak er sehr, bewahrte aber nach außen hin Ruhe und konnte sogar den Totgeglaubten wenige Wochen später voller Herzlichkeit begrüßen und umarmen.
„Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, dich lebend wiederzusehen, Freund Ali, jetzt aber freue ich mich und hoffe, viel Neues und Interessantes von dir zu hören.“
Nach der herzlichen Begrüßung bat Ali Chodschah um die Herausgabe seines Olivenkruges. Da sprach der Kaufmann: „Mein Freund, hier sind die Schlüssel, geh in mein Lager und nimm, was dein ist.“
Ali Chodschah trug den Krug in sein Haus, öffnete ihn und fand darin wohl Oliven, doch kein einziges Goldstück. Sein Entsetzen war so groß, daß er geraume Zeit brauchte, um sich zu fassen. Dann aber lief er verstört und voller Gram zurück zu dem Kaufmann und sprach: „O mein Freund, Allah ist mein Zeuge, daß ich dir bei meinem Aufbruch nach Mekka diesen Krug zur Aufbewahrung übergeben habe. Ich legte tausend Goldstücke hinein, die mir mein Alter sichern sollten, und bedeckte sie mit Sperlingsoliven. Jetzt erkenne ich wohl den Olivenkrug als den meinigen an, doch das Gold ist daraus verschwunden. Vielleicht warst du vorübergehend in Not und hast dringend Geld gebraucht. Ist es so, dann soll dein Mißgeschick unsere Freundschaft in keiner Weise trüben. Du magst das Geld als geliehen betrachten und es mir zu einem Zeitpunkt zurückgeben, den du selber bestimmen kannst. Nur nimm diese schreckliche Sorge von mir, es könnte jemand in unehrlicher Absicht den Krug geöffnet haben.“
Der Kaufmann, der sich schon gewappnet hatte, sagte streng: „Mein Freund Ali, wessen verdächtigst du mich? Ich wußte nicht, was sich in deinem Gefäß befand. Du hast es eigenhändig in mein Lager gestellt und auch wieder herausgenommen. Jetzt beschuldigst du mich des Diebstahls. Eine solche Anklage erscheint mir erstaunlich und frevelhaft. Als du fortgingst, hast du das Gold mit keinem Wort erwähnt.“
Ali Chodschah war aufs tiefste verletzt, doch er versuchte es noch einmal mit flehentlichen Bitten: „Diese tausend Goldstücke waren damals mein ganzes Gut. Sie sollten ein Rückhalt für mein Alter sein. Gib sie mir wieder zurück oder laß uns über die Summe einen Schuldschein ausstellen, denn ich bin auch heute noch weit davon entfernt, ein reicher Mann zu sein, der den Verlust verschmerzen könnte. Laß mich nicht irre werden an deiner Freundschaft!“
Jetzt erhob der Kaufmann seine Stimme, und er schrie so laut, daß die Leute vor seinem Haus stehenblieben und aufhorchten: „Du behauptest, mich gut zu kennen, Ali Chodschah, und redest von Ehrlichkeit und Freundschaft, erhebst dabei aber Anklage wider mich. Du übergabst mir einen Krug mit Oliven und willst ihn mit Gold gefüllt zurückhaben. Jetzt sehe ich, daß du ein Schelm und Betrüger bist, denn du forderst von mir, was dir gar nicht zusteht! Mit dem gleichen Recht könntest du von mir Perlen und Diamanten verlangen.“
Da war das Schreckliche passiert und durch nichts wiedergutzumachen. Die Leute auf der Straße hatten alles mit angehört. Keines der bösen Worte und keine Verleumdung war mehr ungeschehen zu machen. Ali Chodschah, da er die öffentlich ausgesprochenen Beschuldigungen nicht auf sich sitzenlassen konnte, denn für einen Kaufmann ist nichts wichtiger als sein guter Name, teilte seinem einstmaligen Freunde mit, daß er nun leider die Sache vor den Kadi bringen müsse. Er werde dort Anklage erheben auf Herausgabe der tausend Goldstücke und Zurücknahme der bösen Verleumdung über seine angeblich betrügerischen Absichten, sonst könne er in dieser Stadt niemals mehr einen ehrlichen Handel treiben.
Noch bevor der Streit vor den Richter gelangte, sprach man in allen Teilen der Stadt von dem Zerwürfnis der beiden Kaufleute, die ehemals Freunde gewesen waren.
Fast jedermann ergriff hitzig und leidenschaftlich Partei für den einen oder anderen.
Am nächsten Tag klagte Ali Chodschah vor dem Kadi. Der Richter, der den begüterten und angesehenen Kaufmann sehr gut kannte, sich aber Ali Chodschahs kaum noch erinnerte, fragte sofort: „Welchen Zeugen hast du, Ali Chodschah, der beweisen kann, daß sich alles so verhält, wie du sagst? Wer war zugegen, als du die
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