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Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre

Titel: Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viele Verschiedene
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was dieser vor den Ohren der aufhorchenden Menge in seinem Hause gesagt hatte, und gleich ihm, ohne eine Aufforderung abzuwarten, rief er: „Ich bin bereit, meine Aussage mit heiligem Eid zu beschwören!“
    Doch der junge Kadi befahl: „Warte mit deinen Schwüren. Zuvor möchte ich den Olivenkrug in Augenschein nehmen, denn es ist meine Aufgabe, dem Recht zum Siege zu verhelfen.“
    Er winkte dem Knaben Ali, er möge den Krug holen. Der tat es und stellte das vermeintliche Gefäß vor den Richter. Beide, Angeklagter und Kläger, bekundeten durch Kopfnicken, daß es sich um den bewußten Olivenkrug handle. Der Richter öffnete den Krug, faßte mit der Hand hinein, nahm eine Olive heraus und führte sie zum Mund: „Oh, die Oliven sind gut“, stellte er fest. „Ja, sie duften sogar und sind frisch wie die der letzten Ernte. Wie kann das sein, Ali Chodschah, sagtest du nicht, du habest sie vor sieben Jahren in den Krug gelegt?“
    „Es ist so, wie du bemerkst, hoher Richter!“ antwortete der Knabe Ali.
    „So bringt mir zwei Ölhändler aus der Stadt, denn ich will sie befragen“, gebot der junge Kadi.
    Die Ölhändler kamen, verneigten sich und gaben Auskunft über ihre Namen und ihr Gewerbe.
    Darauf fragte der Richter: „Jetzt sagt mir genau und ohne Umschweife, wie lange halten sich Oliven in solchem Kruge frisch? Wie lange behalten sie ihren Duft, und wie lange sind sie genießbar?“
    „Wenn wir sie in unseren Kellern sorgfältig aufbewahren, so ist cs möglich, daß sie sich drei Jahre halten“, antworteten die Ölhändler. „Dann allerdings verlieren sie ihren Duft und ihren Geschmack. Man kann sie nicht mehr essen, sie taugen nur noch zum Wegwerfen.“
    Der Kadi schüttelte nachdenklich den Kopf und fuhr fort: „Probiert diese Sperlingsoliven und sagt, wie alt ihr sie schätzt!“
    Die Händler spielten gut. Sie taten, als nähmen sie einige Früchte aus dem Krug, kosteten, schmatzten und sagten nacheinander: „Sie sind ausgezeichnet, o Herr, völlig frisch. Sie sind von der letzten Ernte!“ „Das kann nicht sein!“ fuhr sie der junge Kadi in echt gespieltem Zorn an. „Dieser Mann hier, Ali Chodschah, schwört, daß er sie vor sieben Jahren in den Krug gelegt hat.
    Wie können also die frischen Oliven hineingekommen sein? Prüft darum noch einmal!“
    Doch die beiden Händler schrien erbost: „Herr Richter, wessen beschuldigst du uns? Wir übernahmen das Gewerbe von den Vätern. Wir kennen uns darin aus. Diese Früchte sind von diesem Jahr und nimmermehr sieben Jahre alt.“
    Der unehrliche Kaufmann wollte den Mund zu seiner Verteidigung öffnen, doch der junge Kadi sprang auf und rief leidenschaftlich: „Schweig! Du bist ein Lügner! Du wolltest bei Allah schwören und hättest uns alle belogen. Es gibt keinen Zweifel, du bist der Dieb des Geldes, du nahmst es aus dem Krug und legtest frische Oliven hinein!“
    Er klatschte und rief:
    „He, Gerichtsdiener!“
    Da stürzten zwei Knaben hervor.
    „Führt ihn ab und hängt ihn, denn er gehört an den Galgen. Zuvor aber möge er Ali Chodschah die tausend Goldstücke zurückgeben.“
    Die beiden Gerichtsdiener packten den Betrüger recht unsanft und rissen ihn aus dem Saal, während die Zuschauer Beifall klatschten und aufgeregt durcheinanderredeten.
    Der Kalif zog sich unbemerkt mit seinem Wesir zurück. Dann, noch immer aufgeregt und voller Bewunderung, befragte er seinen Begleiter, was er vom Spiel der Kinder halte.
    „Majestät“, sagte Dschafar, „ich bin ebenso erstaunt wie du über den Scharfsinn dieses Jungen.“
    Harun al Raschid nickte und fragte: „Und wie meinst du sollen wir morgen entscheiden?“
    „Das Urteil kann um kein Haar anders ausfallen als das jenes Knaben, mein Fürst“, antwortete Dschafar.
    „Nun, so merke dir das Gesicht des Jungen und erkunde, wo er wohnt. Er soll morgen in meinem Palast der Richter sein. Ich befehle, auch den Kadi zu bestellen, der so leichtfertig Unrecht in Recht verwandelt hat. Ferner wünsche ich, daß du Ali Chodschah einen Wink gibst, seinen Olivenkrug mitzubringen. Dann sorge, daß zwei ordentliche Olivenhändler zur Stelle sind, und bewahre über alles tiefstes Stillschweigen!“
    Spät in der Nacht kehrten die beiden Männer in den Palast zurück. Am nächsten Morgen ging der Großwesir in die Gegend des nächtlichen Richterspieles. Es war nicht schwer, die Wohnung jenes Knaben zu erfragen.
    Seine Mutter erschrak auf das heftigste, als der höchste Beamte des Hofes ihr ärmliches Haus

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