Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
befand er sich auf der großen Karawanenstraße, die nach Kahira, der Hauptstadt Ägyptens, führte. Er konnte in der Tat seine Waren mit großem Gewinn absetzen und hatte genügend Muße, die wunderbare Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten zu betrachten. Dann kaufte er neue Waren ein, denn er hatte sich vorgenommen, seinem Verlangen nachzugeben und sich noch mehr von der Welt anzusehen. Seine Reise führte ihn über Jerusalem nach Damaskus. Dort blieb er fast einen Monat, verkaufte und kaufte ein und bewunderte die prachtvoll blühenden Gärten, die üppigen Wiesen und Felder mit ihren meisterhaft angelegten Bewässerungsanlagen.
Neben vielen neuen Eindrücken gewann er auch neue Freunde, mit denen er über Aleppo und Mosul nach Schiras reiste.
Auch jetzt zog es ihn nicht zurück in die Heimatstadt Bagdad, sondern weiter in die Ferne. Mit persischen Kaufleuten bereiste er mehrere Jahre das große Land Indien und seine sagenhaften Märkte. Er handelte mit Seidenstoffen und anderen Kostbarkeiten und fühlte sich wohl und zufrieden, bis ihn eines Tages mit aller Macht die Sehnsucht nach der Vaterstadt überfiel und er alles für die Heimreise vorbereitete.
Sieben lange Jahre hatte der Olivenkrug des Ali Chodschah unversehrt und schon fast vergessen in der Warenhalle des befreundeten Kaufmanns gestanden, da geschah es, daß während eines Nachtmahls die Frau des Kaufherrn großes Verlangen nach frischen Oliven äußerte, jedoch in ihrer Speisekammer keine einzige mehr vorfand. Da entsann sich ihr Mann des Kruges, den Ali Chodschah vor langer Zeit bei ihm zurückgelassen hatte, und er sagte: „Du sprichst von Oliven, Weib, dabei fällt mir ein, daß unser Freund und Nachbar, bevor er seine Pilgerfahrt nach Mekka antrat, mir einen Olivenkrug zur Aufbewahrung gab. Mittlerweile sind fast sieben Jahre vergangen. Von einem Händler hörte ich, daß man Ali Chodschah in Ägypten gesehen hat, doch nie gelangte irgendeine Nachricht hierher. Sicher ist er längst gestorben. Gib mir ein Licht und eine Schüssel, ich will in den Speicher gehen und mir den Krug ansehen.“
Sein Weib war ehrlich und rechtschaffen und bat ihn herzlich, er möge das ihm anvertraute Gut nicht anrühren, niemand habe ihnen sichere Nachricht von dem Tode des Händlers überbracht. Aber die Neugier, einmal geweckt, wuchs so übermächtig, daß der Kaufmann durch nichts von seinem Gedanken abzubringen war. Er ergriff den Schlüsselbund und stand schon in der Tür, als die Frau ihm nochmals in den Weg trat und ihn inständig bat, den Krug unberührt zu lassen. „Was für eine Schande, wenn Ali Chodschah zurückkäme und fände das Gefäß nicht mehr im gleichen Zustand, in dem er es dir anvertraut hat. Auch ist es ganz unsinnig, anzunehmen, daß die Oliven noch genießbar sein könnten. Ich jedenfalls will mit all dem nichts zu tun haben.“
So sprach sie noch weiter mit bewegten Worten, da sie die Unnachgiebigkeit ihres Mannes kannte, und es schien fast, als habe er sich besonnen. Doch seit diesem abendlichen Gespräch war er in Unruhe, und die Begierde zu erfahren,
was in dem Kruge sei, war so stark, daß er eines Nachts, als er seine Frau schlafend wähnte, aufstand, ins Lager ging und den Krug öffnete. Die Oliven waren verdorben und mit einer leichten Schimmelschicht überzogen. Um sich zu überzeugen, ob auch die darunter liegenden verfault seien, schüttete er einige davon in eine Schüssel. Da fiel klirrend ein Goldstück in das Gefäß. Nun war es vollends um seine Beherrschung geschehen. Er kippte den Krug um, und vor seinen Augen lag ein Berg Goldstücke schönster Prägung.
Ohne zu zählen, scharrte er das Gold zusammen, legte die verfaulten Oliven wieder in den Krug und kehrte in sein Schlafgemach zurück. Dort fand er seine Frau wachend mit angsterfülltem Gesicht. Um sie zu beruhigen, sagte er: „Du hast recht gehabt, Frau, die Oliven in dem Krug waren verschimmelt und verdorben. Ich habe sie unberührt darin gelassen, und sollte Ali Chodschah zurückkommen, wird er nicht merken, daß ich den Krug geöffnet habe.“
Doch die Frau erwiderte bekümmert: „Gebe Allah, daß uns aus alledem kein Unglück erwachse! Es wäre wahrlich besser gewesen, den Krug nicht zu öffnen.“ Von Stund an sann der Kaufmann Tag und Nacht darüber nach, wie er sich Ali Chodschahs Gold aneignen, die Sache aber so einrichten könne, daß der Nachbar, käme er zurück, ihm nichts anzuhaben vermöchte. Schließlich glaubte er einen Weg gefunden zu haben. Er
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