Maerchen Fuer Kinder
aber sie bat nur um einen kleinen Wagen mit einem Pferd davor, und um ein Paar Schuhe, dann wollte sie wieder in die weite Welt hinausfahren und Karl suchen.
Sie erhielt sowohl Schuhe und Muff, sie wurde niedlich gekleidet, und als sie fort wollte, hielt vor der Thür eine neue Kutsche von reinem Gold; des Prinzen und der Prinzessin Wappen glänzte an derselben wie ein Stern. Kutscher, Diener und Vorreiter, denn da waren auch Vorreiter, saßen mit Goldkronen auf dem Kopfe. Der Prinz und die Prinzessin halfen ihr selbst in den Wagen und wünschten ihr alles Glück. Die Waldkrähe, welche nun verheiratet war, begleitete sie die ersten drei Meilen; sie saß ihr zur Seite, denn sie konnte nicht ertragen, rückwärts zu fahren. Die andere Krähe stand in der Thür und schlug mit den Flügeln, sie kam nicht mit, denn sie litt an Kopfschmerzen, seitdem sie feste Anstellung und zu viel zu essen erhalten hatte. Inwendig war die Kutsche mit Zuckerbrezeln gefüttert, und im Sitze waren Früchte und Pfeffernüsse.
»Lebe wohl! Lebe wohl!« riefen der Prinz und die Prinzessin, das kleine Gretchen weinte und die Krähe weinte auch. – So ging es die ersten Meilen, da sagte auch die Krähe Lebewohl, und das war der schwerste Abschied. Sie flog in einen Baum hinauf und schlug mit ihren schwarzen Flügeln, so lange sie den Wagen, welcher wie der klare Sonnenschein glänzte, erblicken konnte.
Fußnoten
1 Ein Kauderwelsch der Kinder.
Fünfte Geschichte.
Das kleine Räubermädchen.
Sie fuhren durch den dunkeln Wald, aber die Kutsche leuchtete gleich einer Fackel. Das stach den Räubern in die Augen, das konnten sie nicht ertragen.
»Das ist Gold! das ist Gold!« riefen sie, stürzten hervor, ergriffen die Pferde, schlugen die kleinen Vorreiter, den Kutscher und die Diener tot, und zogen nun das kleine Gretchen aus dem Wagen.
»Sie ist fett, sie ist niedlich, sie ist mit Nußkernen gefüttert!« sagte das alte Räuberweib, die einen struppigen Bart und Augenbrauen hatte, die ihr über die Augen herabhingen.
»Das ist so gut wie ein kleines, fettes Lamm! Na, wie soll die schmecken!« und dann zog sie ihr blankes Messer heraus und das glänzte, daß es greulich war.
»Au!« sagte das Weib zu gleicher Zeit, denn sie wurde von ihrer eigenen Tochter, die auf ihrem Rücken hing, so wild und unartig, daß es eine Lust war, in das Ohr gebissen. »Du häßlicher Balg!« sagte die Mutter, und kam nicht dazu, Gretchen zu schlachten.
»Sie soll mit mir spielen!« sagte das kleine Räubermädchen.
»Sie soll mir ihren Muff, ihr hübsches Kleid geben, bei mir in meinem Bett schlafen!« und dabei biß sie wieder, daß das Räuberweib in die Höhe sprang und sich rings herumdrehte, und alle Räuber lachten und sagten: »Sieh, wie sie mit ihrem Jungen tanzt!«
»Ich will in den Wagen hinein!« und sie mußte und wollte ihren Willen haben, denn sie war verzogen und hartnäckig. Sie und Gretchen saßen darinnen und so fuhren sie über Stock und Stein tiefer in den Wald hinein. Das kleine Räubermädchen war so groß wie Gretchen, aber stärker, breitschultriger und von dunkler Haut. Die Augen waren ganz schwarz, sie sahen fast traurig aus. Sie nahm das kleine Gretchen um den Leib und sagte: »Sie sollen Dich nicht schlachten, so lange ich Dir nicht böse werde! Du bist wohl eine Prinzessin?«
»Nein!« sagte Gretchen, und erzählte ihr alles, was sie erlebt hatte, und wieviel sie vom kleinen Karl hielt.
Das Räubermädchen betrachtete sie ganz ernsthaft, nickte ein wenig mit dem Kopfe und sagte: »Sie sollen Dich nicht schlachten, selbst wenn ich Dir böse werde, dann werde ich es schon selbst thun!« und dann trocknete sie Gretchens Augen und steckte ihre beiden Hände in den schönen Muff, der weich und warm war.
Nun hielt die Kutsche still; sie waren mitten auf dem Hofe eines Räuberschlosses, das von oben bis unten auseinander geborsten war. Raben und Krähen flogen aus den offenen Löchern, und die großen Bullenbeißer, von denen ein jeder aussah, als könne er einen Menschen verschlingen, sprangen hoch empor, aber sie bellten nicht, denn das war verboten.
In dem großen, alten, verräucherten Saale brannte mitten auf dem steinernen Fußboden ein großes Feuer; der Rauch zog unter der Decke hin und mußte sich selbst den Ausweg suchen; ein großer Braukessel mit Suppe kochte, und sowohl Hasen als Kaninchen wurden an Spießen gebraten.
»Du sollst diese Nacht mit mir bei allen meinen kleinen Tieren schlafen!«
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