Maerchen Fuer Kinder
meine süße Braut, denn das bist Du mir doch!«
Dann küßten sie sich, und das junge Mädchen weinte und gab ihm eine Rose. Aber bevor sie ihm dieselbe reichte, drückte sie einen Kuß darauf, so fest und so innig, daß die Blume sich öffnete. Da flog der kleine Elf in diese hinein und lehnte sein Haupt gegen die feinen, duftenden Wände; hier konnte er gut hören, daß Lebewohl gesagt wurde. Und er fühlte, daß die Rose ihren Platz an des jungen Mannes Brust erhielt. O, wie schlug doch das Herz darinnen! Der kleine Elf konnte gar nicht einschlafen, so pochte es.
Doch nicht lange lag die Rose auf der Brust. Der Mann nahm sie hervor, und während er einsam in dem dunkeln Walde ging, küßte er die Blume, so oft und stark, daß der kleine Elf fast erdrückt wurde; er konnte durch das Blatt fühlen, wie die Lippen des Mannes brannten, und die Rose selbst hatte sich, wie bei der stärksten Mittagssonne, geöffnet.
Da kam ein anderer Mann, finster und böse; es war des hübschen Mädchens schlechter Bruder. Ein scharfes und großes Messer zog er hervor, und während jener die Rose küßte, stach der schlechte Mann ihn tot, schnitt seinen Kopf ab und begrub ihn mit dem Körper in der weichen Erde unter dem Lindenbaume.
»Nun ist er vergessen und fort,« dachte der schlechte Bruder; »er kommt nie mehr zurück. Eine lange Reise sollte er machen, über Berge und Seen, da kann man leicht das Leben verlieren, und das hat er verloren. Er kommt nicht mehr zurück, und mich darf meine Schwester nicht nach ihm fragen.«
Dann scharrte er mit dem Fuße verdorrte Blätter über die lockere Erde und ging wieder in der dunkeln Nacht nach Hause. Aber er ging nicht allein, wie er glaubte; der kleine Elf begleitete ihn, er saß in einem vertrockneten, aufgerollten Lindenblatte, welches dem bösen Manne, als er grub, in die Haare gefallen war. Der Hut war nun darauf gesetzt, es war dunkel darin, und der Elf zitterte vor Schreck und Zorn über die schlechte That.
In der Morgenstunde kam der böse Mann nach Hause; er nahm seinen Hut ab und ging in der Schwester Schlafstube hinein. Da lag das schöne, blühende Mädchen und träumte von ihm, dem sie so gut war und von dem sie nun glaubte, daß er über Berge und durch Wälder gehe; der böse Bruder neigte sich über sie und lachte häßlich, wie nur ein Teufel lachen kann, da fiel das trockene Blatt aus seinem Haare auf die Bettdecke nieder, aber er bemerkte es nicht und ging hinaus, um in der Morgenstunde selbst ein wenig zu schlafen. Aber der Elf schlüpfte aus dem verdorrten Blatte, setzte sich an das Ohr des schlafenden Mädchens und erzählte ihr, wie in einem Traum, den schrecklichen Mord, beschrieb ihr den Ort, wo der Bruder ihn erschlagen und seine Leiche verscharrt hatte, erzählte von dem blühenden Lindenbaume dicht dabei und sagte: »Damit Du nicht glaubst, daß es nur ein Traum sei, was ich Dir erzählt habe, so wirst Du auf Deinem Bette ein verdorrtes Blatt finden!« Und das fand sie, als sie erwachte.
O, welche bittere Thränen weinte sie und durfte doch niemand ihren Schmerz anvertrauen! Das Fenster stand den ganzen Tag offen, der kleine Elf konnte leicht zu den Rosen und all' den übrigen Blumen nach dem Garten hinaus gelangen, aber er wagte es nicht, die Betrübte zu verlassen. Im Fenster stand ein Strauch mit Monatsrosen, in eine der Blumen setzte er sich und betrachtete das arme Mädchen. Ihr Bruder kam oft in die Kammer hinein, und war heiter trotz seiner Schlechtigkeit, aber sie durfte kein Wort über ihren Herzenskummer sagen.
Sobald es dunkel wurde, schlich sie sich aus dem Hause, ging im Walde nach der Stelle, wo der Lindenbaum stand, nahm die Blätter von der Erde, grub in dieselbe hinein und fand ihn sogleich, der erschlagen worden war. O, wie weinte sie, und bat den lieben Gott, daß er sie auch bald sterben lasse! –
Gern hätte sie die Leiche mit sich nach Hause genommen, aber das konnte sie nicht, da nahm sie das bleiche Haupt mit den geschlossenen Augen, küßte den kalten Mund und schüttelte die Erde aus seinem schönen Haar. »Das will ich behalten!« sagte sie und als sie Erde und Blätter auf den toten Körper gelegt hatte, nahm sie den Kopf und einen kleinen Zweig von dem Jasminstrauch, der im Wald blühte, wo er begraben war, mit sich nach Hause.
Sobald sie in ihrer Stube war, holte sie sich den größten Blumentopf, der zu finden war, in diesen legte sie des Toten Kopf, schüttete Erde darauf und pflanzte dann den Jasminzweig in den
Weitere Kostenlose Bücher