Maerchen Fuer Kinder
bekommen hatten, wollten gern mitfliegen, aber die Mutter sagte: »Ihr bleibt hier!« und so blieben sie. – Sie flog, doch wie es sich nun auch zugetragen haben mag, genug, auf einmal hing sie in einer Vogelschlinge aus Pferdehaaren, welche einige Knaben an einen Zweig befestigt hatten. Die Pferdehaare schlangen sich fest um das Bein zusammen, so fest, als ob es zerschnitten werden sollte. Das war eine Pein, das war ein Schreck; die Knaben sprangen darauf zu und ergriffen den Vogel, und sie griffen ihn schrecklich hart an. »Das ist nichts weiter als ein Sperling!« sagten sie, aber sie ließen ihn doch nicht wieder fliegen, sie gingen mit demselben nach Hause, und jedesmal, wenn er schrie, schlugen sie ihn auf den Schnabel.
Im Bauernhof stand ein alter Mann, welcher Seife zum Bart und zu den Händen, Seife in Kugeln und Seife in Stücken anzufertigen verstand. Es war ein herumwandernder, lustiger Alter und als er den Sperling erblickte, mit welchem die Knaben daherkamen, und aus dem, wie sie sagten, sie sich nichts machten, fragte er: »Wollen wir ihn schön machen?« Und es schauerte der Sperlingsmutter, als er das sagte. Aus seinem Kasten, worin die schönsten Farben lagen, nahm er darauf eine ganze Menge glänzendes Schaumgold, die Knaben mußten ein Ei herbeischaffen, davon nahm er das Weiße und bestrich den ganzen Vogel damit. Dann klebte er Schaumgold darauf, so war die Sperlingsmutter vergoldet, sie aber dachte nicht an den Staat, sie zitterte an allen Gliedern. Und der Seifenmann nahm einen roten Lappen, er riß ihn aus dem Futter seiner alten Jacke, schnitt den Lappen zu einem gezackten Hahnenkamme aus und klebte denselben auf den Kopf des Vogels fest.
»Jetzt sollt Ihr den Goldvogel fliegen sehen!« sagte er und ließ den Sperling los, welcher in der schrecklichsten Angst in dem klaren Sonnenschein dahinflog. Nein, wie der glänzte! Alle Sperlinge, ja sogar eine große Krähe, und zwar nicht eine von diesem Jahre, wurden ganz erschrocken über diesen Anblick, aber sie flogen doch hinterdrein, denn sie wollten wissen, was das für ein fremder Vogel sei.
»Woher? Woher?« schrie die Krähe.
»Wart' ein bißchen! wart' ein bißchen!« sagten die Sperlinge. Aber sie wollte nicht warten; von Angst und Schrecken ergriffen, flog sie nach Hause; sie war nahe daran, ermattet zur Erde zu sinken und immer kamen mehr Vögel hinzu, kleine und große; einige flogen gerade auf sie zu, um auf sie loszuhacken. »Seht den! Seht den!« schrieen alle.
»Seht den! Seht den!« schrieen die Jungen, als sie auf das Nest zukam. »Das ist gewiß ein junger Pfau, da sind alle Farben, welche in die Augen stechen, wie die Mutter sagte. Piep! Das ist das Schöne!« Dann hackten sie mit ihren kleinen Schnäbeln, sodaß es ihr nicht möglich war, hineinzuschlüpfen, und sie war vor Schrecken so ermattet, daß sie nicht mehr »Piep«, viel weniger: »Ich bin ja Eure Mutter!« sagen konnte. Die andern Vögel hackten nun alle auf sie ein, sodaß sie alle Federn verlor, und blutig sank die Sperlingsmutter in den Rosenstrauch hinab.
»Das arme Tier!« sagten die Rosen. »Komm, wir wollen Dich verbergen! Lehne Dein Köpfchen an uns an!«
Die Sperlingsmutter breitete noch einmal die Flügel aus, drückte sie dann wieder fest an sich, und war bei der Nachbarfamilie, den frischen, schönen Rosen, gestorben.
»Piep!« sagten die jungen Sperlinge im Neste, »wo nur die Mutter bleiben mag, das kann ich gar nicht begreifen. Es soll doch nicht etwa ein Pfiff von ihr sein, damit wir uns selbst ernähren und für uns sorgen sollen? Das Haus hat sie uns als Erbteil hinterlassen, aber wer von uns soll es allein besitzen, wenn wir Familie bekommen?«
»Ja, ich kann Euch anderen nicht hier behalten, wenn ich mein Hauswesen mit Frau und Kindern erweitere!« sagte der kleinste.
»Ich bekomme wohl mehr Frauen und Kinder als Du!« sagte der zweite.
»Ich bin der älteste!« sagte ein dritter. Alle fingen an, sich zu schelten, sie schlugen mit den Flügeln, hackten mit den Schnäbeln, und bums, wurde das eine nach dem andern aus dem Neste gepufft. Da lagen sie, und böse waren sie noch; den Kopf hielten sie ganz auf die eine Seite und blinzelten mit dem Auge, welches nach oben gekehrt war; das war so ihre Art zu schmollen.
Ein wenig konnten sie fliegen, und dann übten sie sich noch etwas mehr, und zuletzt kamen sie überein, daß sie, um sich wieder zu erkennen, wenn sie sich später in der Welt begegnen sollten, Piep! sagen und dreimal mit dem
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