Märchen unter dem Wüsenhimmel
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Sie holte tief Luft und versuchte, sich zu entspannen. Sie fühlte sich gut und sah gut aus. Seit sie in El Bahar war, ließ sie ihr Haar wachsen und trug nun eine elegante Hochfrisur. Vor einigen Wochen war sie mit Khalil geschäftlich nach Paris gereist und hatte die Gelegenheit zu einem Besuch in einem Schönheitssalon genutzt. Dort war ihr beigebracht worden, sich kunstvoll zu schminken. Durch die täglichen Ausritte und die langen Wege im Palast hatte sie zehn Pfund abgenommen. Obwohl sie nicht die Perfektion eines Models erreicht hatte, war sie eine attraktive, vitale Frau geworden. Dennoch fiel es ihr schwer, den Ballsaal allein zu betreten. Allzu gern hätte sie es an Khalils Seite getan.
Sie seufzte. Leider hatte sie sich übergeben müssen, während er die Gäste begrüßt hatte. Denn ihre Anfälle von Übelkeit stellten sich selten morgens ein. Da sie ihm die Schwangerschaft bislang verschwieg, hatte sie ihn vorausgeschickt unter dem Vorwand, einen Fleck auf ihrem Kleid entdeckt zu haben und sich umziehen zu müssen.
Nun hielt sie nach ihm Ausschau und erblickte ihn schließlich in einer der vielen Nischen, die den Ballsaal säumten. In seiner Begleitung befand sich Amber, die wunderschöne Verführerin, in einem hautengen roten Seidenkleid, das ihre perfekte Figur betonte.
Im Vergleich zu dieser jungen Schönheit fühlte Dora sichwie eine hässliche Parodie. Ihr Selbstvertrauen verflüchtigte sich wie eine Pfütze Wasser in der Wüstensonne. Khalil hatte recht. Sie war ein Niemand.
„Ich will dich, Khalil“, hörte sie Amber in leidenschaftlichem Ton erklären. „Ich bin dein Schicksal, nicht diese Kuh. Was hast du dir dabei gedacht, sie zu nehmen, während du mich hättest haben können? Ich weiß, dass du sie nicht liebst. Ich will mit dir zusammen sein. Ich will deine Söhne gebären.“
Mit Tränen in den Augen eilte Dora davon, floh durch eine Seitentür hinaus auf den Balkon und trat schluchzend an die Brüstung. Sie hatte verloren. Kein Wunder, dass Khalil sich weigerte, ihr seine Liebe zu gestehen. Sie war ihm nur im Weg, denn er liebte eine andere. Wie sollte sie sich jemals gegen eine Frau wie Amber behaupten können?
„Aber, aber, so schlimm kann es nicht sein“, murmelte eine sanfte Stimme, und ein Taschentuch wurde ihr in die Hand gedrückt.
Dora nahm es dankbar und wischte sich die Tränen ab. „Wenn du aufhörtest, dich vor der Wahrheit zu verstecken, wäre alles viel besser, mein Kind“, sagte Fatima.
„Es ist nicht so, wie du glaubst.“
Fatima, so elegant wie immer in einem ihrer Lieblingskleider von Chanel, tätschelte Doras Hand. „Ich weiß mehr, als du ahnst. Ich sehe viele Dinge, die anderen entgehen, und was ich nicht sehe, berichten mir meine Spione.“
Fatima hatte Spione? Warum nicht? dachte Dora. Schließlich schien die ganze Welt verrückt zu sein. „Ich kann ihn nicht verlassen“, sinnierte sie, ohne sich bewusst zu werden, dass sie es laut aussprach. „Nicht nur, weil ich ihn liebe. Wenn es nur das wäre, könnte ich mich vermutlich losreißen.“
„Das bezweifle ich“, entgegnete Fatima. Sie lehnte sich an die Brüstung und blickte zum Himmel hinauf. „Sieh dir nur mal die schönen Sterne an. So viele und so strahlend.“ Sie seufzte.„Du bist natürlich gefangen, da du jetzt schwanger bist. Du weißt ja, dass die Gesetze von El Bahar es schwangeren Frauen verbieten, das Land zu verlassen.“
„Es sei denn, dass der Ehemann sie oder ihre anderen Kinder misshandelt.“ Dora legte sich eine Hand auf den Bauch. „Wer weiß alles davon?“
Fatima lachte. „Wir haben es mit Männern zu tun, mein Kind. Sie werden es wissen, wenn du es ihnen sagst, nicht früher.“
Ihr blieb also Zeit. Aber wofür? „Nichts wird sich ändern.“
„Was möchtest du denn ändern?“
„Alles.“ Dora seufzte. „Khalil zu lieben, ist schlimm genug.
Sein Kind zu bekommen, wird mich für immer an ihn binden.“ Die Gesetze gestatteten ihr zwar, nach der Geburt das Land zu verlassen, aber die Königsfamilie würde ihr nie gestatten, das Baby mitzunehmen. Außerdem wollte sie gar nicht gehen. Sie wollte, dass Khalil sie liebte.
„Nicht alles“, korrigierte Fatima. „Es ist eine Frage der Prioritäten. Du hast es falsch angepackt, wenn ich das mal sagen darf.“
„Inwiefern?“
„Du musst dir verdienen, was du am meisten begehrst. Du bist mit Khalils erstem Kind schwanger. Das gibt dir eine Macht, die keine andere Frau besitzt. Aber du
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