Märchen unter dem Wüsenhimmel
Auseinandersetzung. „Ich bin nur müde“, entgegnete sie daher. „Ich möchte gern in mein Zimmer gehen.“
Er legte einen Arm um sie und führte sie hinaus. Als sie ihr Schlafzimmer betraten, sagte er freundlich: „Ich werde dich beim König entschuldigen. Schlaf dich gut aus. Dann fühlst dudich morgen hoffentlich besser. Ich werde dich heute Nacht nicht stören.“
Sie redete sich ein, dass er sich nur rücksichtsvoll verhielt und es nichts mit Amber zu tun hatte, aber sie war sich nicht sicher. „So krank fühle ich mich nicht“, murmelte sie. „Vielleicht nach der Party …“
Er schüttelte den Kopf. „Du wirfst mir oft vor, gefühllos zu sein, und ich will dir keine Munition liefern. Wenn du dich nicht gut fühlst, werde ich dich nicht belästigen.“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und ließ sie allein.
Betroffen blickte Dora ihm nach und fragte sich, ob es ihr bestimmt war, den Rest ihres Lebens in Einsamkeit zu verbringen.
Sie warf sich auf das Bett, lauschte der Stille und schalt sich eine Närrin. Was hatte sie sich eingebildet? Sie war nichts weiter als eine kleine Sekretärin, die zufällig die Aufmerksamkeit eines wohlhabenden Prinzen erregt hatte. Nicht, weil sie schön oder klug, sondern weil sie verfügbar war. Eine Jungfrau mit gebärfreudigem Becken. Sie war ein Niemand.
Aufschluchzend barg sie das Gesicht in den Kissen. All ihre Träume, ihre Zukunftspläne waren zunichte gemacht.
Lange Zeit später, als ihre Tränen versiegt waren, hallten Fatimas Worte durch ihren Kopf: Gib ihm, was er sich am meisten wünscht … Aber was hatte sie Khalil schon zu geben?
Rastlos wanderte sie in ihrer Suite umher. Als ihr Blick in den Spiegel fiel, stellte sie erneut fest, wie sehr der Aufenthalt in El Bahar ihr Aussehen verändert hatte. Der schüchtern gesenkte Blick war verschwunden. Sie hielt sich aufrecht, strahlte Selbstvertrauen aus. Ihre Figur war nun ausgewogen, und das längere Haar schmeichelte ihrem Gesicht. Irgendwann in den vergangenen Monaten hatte sich das hässliche Entlein gemausert.
Sie setzte sich an den Schreibtisch, der von zahlreichen Dokumenten übersät war und blickte sich in dem großen Salon um.Die luxuriöse Einrichtung wirkte längst nicht mehr einschüchternd auf sie. Denn sie war nicht länger Dora Nelson, der Fußabtreter, sondern Dora Khan, die Prinzessin von El Bahar.
Und plötzlich, völlig unvermittelt verstand sie, wovon Fatima gesprochen hatte. Was Khalil sich von ihr ersehnte, war ihre Liebe.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Wie einfach! Warum hatte sie es vorher nicht erkannt? Khalil wollte keine Schaufensterpuppe als Ehefrau. Er brauchte und wollte eine Partnerin, die ebenso intelligent war und sich für El Bahar engagierte wie er. All das traf auf sie zu, nicht auf Amber.
Doch er hatte sich nie für seine Lügen entschuldigt und nie seine Gefühle eingestanden. „Aber ich will, dass er sich fügt“, murmelte sie vor sich hin. „Ich will, dass er mich liebt.“
Es war eine Frage des Starrsinns und des Willenskampfes. Wenn sie nachgab, was dann? Würde Khalil sie unterdrücken? Würde ihr die Position als Ministerin aberkannt werden? Oder würde sie sich ihren Herzenswunsch erfüllen?
Sie dachte daran, dass er sie fast jede Nacht beharrlich verführte, und wie sehr die Intimität sie körperlich wie seelisch miteinander verband. Sie dachte daran, wie stolz er auf ihre Ernennung zur Ministerin war, und wie oft er ihr gestattete, dem König gegenüber für beide zu sprechen. Sie dachte an die gemeinsamen Abende, die sie mit Lesen oder Gesprächen verbrachten und an sein Werben.
Das war nicht das Verhalten eines Mannes, der keine Gefühle hegte. In vielerlei Hinsicht hatte er sich ihr gefügt. Wollte sie alles aufs Spiel setzen, indem sie sich an die Erfüllung ihrer Forderungen klammerte?
Gedankenverloren nahm sie den kleinen Dolch mit dem goldenen Griff zur Hand, den sie als Brieföffner benutzte. Sie mussten dringend den Status quo ändern. Doch sie hasste es ebenso wie Khalil, klein beizugeben.
Plötzlich kam ihr eine Idee. Ein Blick zur Uhr verriet ihr, dass die Party inzwischen vorüber sein sollte. Und wenn sie sich irrte und Khalil mit Amber zusammen war, dann war es besser, es zu erfahren, bevor sie sich völlig zum Narren machte.
Kaum eine halbe Stunde später huschte sie leise durch die Korridore des Palastes. Sie trug eines ihrer elegantesten Gewänder, ein Modellkleid mit tieferem Ausschnitt, als sie für
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