Märchen von den Hügeln
Unterton. »Ich denke, wir sollten die Angelegenheit vergessen!« bat er.
»Welche Angelegenheit? Wovon redest du?« entgegnete Alonzo harmlos. »Höre! Ich leihe dir ein Pferd für den Rückweg, ein gutartiges Tier, das dich sicher zum Waldrand tragen wird. Dort schickst du es zurück. Es ist mit seiner Aufgabe vertraut.« Auf eine abwehrende Handbewegung des Gastes hin unterbrach er sich. »Verstehe«, fuhr er verständnisvoll fort, »wer wagt sich heutzutage noch auf den Rücken eines Pferdes. Maschinenhörige, ihr!«
Dodo suchte seine Habe zusammen.
»Ich werde dich ein Stück geleiten«, entschied Alonzo, »und wenn ich umkehre, hüte dich, den Pfad, den ich dir weise, zu verlassen, denn wir sind in einem Waldstück, das den Elben gehört. Der letzte, der ihnen blieb von den Orten, wo sie ungestört sind. Sie dulden keine Sterblichen hier.«
Alonzo schlug einen Weg ein, den Dodo nicht kannte. Der Tann war hier sehr finster und der Boden nachgiebig.
Als Alonzo gegangen war, begann sich Dodo zu fürchten. Aus den Tiefen des Waldes drang das Glucksen lebendigen Moores, das wie die Gespräche alter, finsterer Wesen anmutete. Dodo schritt schneller aus, um die Gegend, die ihm fremd und unheimlich war, so bald wie möglich hinter sich zu lassen. Es schien ihm seltsam, daß er sie beim Hinweg, der durch pfadloses Gehölz geführt hatte, umgehen konnte.
Plötzlich sah er etwas Großes und Lichtes durch das mannshohe Farnkraut schimmern, und zugleich nahm er eine Schneise wahr, die zwischen den Riesengewächsen hindurch dorthin führte. Er vergaß augenblicklich den Rat Alonzos und folgte dem Pfad vorsichtig. Als das Wesen vor ihm sich gar bewegte, erfaßten ihn Schauder und Frohlocken zugleich: Der Weiße Hirsch lief ihm direkt vor die Flinte.
Im Bann der ersehnten Beute ließ er alle Vorsicht außer acht. Er zerrte den Fuß aus Brombeerranken. Es knackte. Dodo sah den Hirsch erschrecken, ehe er selbst stürzte, aber den Hufschlag des fliehenden Wildes hörte er nicht. In Dodos Haut bohrten sich Stacheln, das derbe Leinenwams vermochte nicht zu schützen. Kopf und Hände aber, die das Gesicht bargen, schlugen auf weichen Boden. Er versuchte, sich aufzustützen, doch die Finger drückten sich in Morast, der ihm schon Augen und Mund verklebte. Langsam drehte er sich auf den Rücken. Dann lag er ganz ruhig, damit das Brennen nachlasse, und wischte sich den Schlamm mit dem Handrücken aus dem Gesicht. Plötzlich vernahm er dicht an seinem Ohr Schritte. Er öffnete die Augen. Was er sah, war der weißblonde Haarschopf Dianas.
Sie bückte sich wortlos, löste die Schlinggewächse von seinen Füßen und sah wohl, daß er unter der Dreckschicht, die sein Gesicht bedeckte, vor Scham errötete. »Jagst du noch immer den Weißen Hirsch?« fragte sie spöttisch.
»Ich fürchte, ich muß aufgeben, schönes Kind«, sagte Dodo und warf einen Blick auf seine verschlammte Flinte.
Um ihren Mund zuckte es schadenfroh. »Hatte dich Alonzo nicht gewarnt?«
Er seufzte. »Spotte nur! Ich habe es nicht besser verdient.« Jetzt erst fiel ihm auf, daß sie genau dort stand, wo seine Hände eingesunken waren, als er sich aufstützen wollte, und daß ihre Schuhe so sauber waren, als wäre sie auf einer asphaltierten Straße hierhergelangt. Wie ging das zu?
»Komm«, sagte Diana mit unerwarteter Freundlichkeit. »Ich werde dich an einen Bach führen, wo du dich waschen kannst.«
Als Dodo den Morast vom Körper gespült hatte, war ihm wohler. »So bin ich dir zu tiefstem Dank verpflichtet«, sagte er pathetisch und sah zu Diana auf, die ihm sein zerfetztes Wams reichte. Als er nach dem Kleidungsstück griff, faßte er ihre Hand, die so schmal war, daß er kaum wagte, sie festzuhalten. Er zog Diana sanft zu sich hinab. Doch sie lachte, befreite sich mit einer energischen Bewegung und lief leichtfüßig davon. Dodo sprang auf, um ihr nachzuhasten. Sie aber enteilte mit der Behendigkeit eines Rehes, ohne im feuchten Gras eine Spur zu hinterlassen. Dodo sah den weißblonden Schopf bald zwischen den dunkelgrünen Tannen, bald über dem Blattwerk der Sträucher auftauchen, aber er konnte die spielerisch Enteilende nie erreichen. Ein Himbeergebüsch riß sein ohnehin verschlissenes Oberkleid in Fetzen, während sie sich immer weiter entfernte. Hier und da erschien ihm noch das fahle Gold ihrer Haare wie ein Leuchten zwischen den Gehölzen. Aber er mochte ihr nicht länger folgen und suchte einen anderen Weg. Immer dichter wuchs das Grün. Hier
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