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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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zu erweitern. Adalbert und Lindo brauchten nicht länger als einen Tag, um von oben her noch so viel Geröll loszuschlagen, wie es der Fels zuließ. Nichts war mehr, wodurch der Lauf der Zahnräder gehemmt wurde. Adalbert stand am Hang des Berges, dort, wo das Tageslicht die Geheimnisse, die die Erde barg, aufgespürt hatte. »Wir werden die Stelle absichern müssen«, bemerkte er und spähte in die Tiefe, aus der ein stickiger Geruch aufstieg. Dann wandte er sich ab und wies zum Kamm. »Da oben soll mein Haus stehen, damit ich über das Land blicken kann. Unter den Kiefern will ich wohnen, um ihren Duft wieder zu erlernen.«
    Lindo hockte am Rand des Schachtes und warf Erdklümpchen hinab. »Halb Mensch, halb Elb bin ich«, sagte er, »und gern wäre ich einer des Lichtvolks. Doch ich tauge nicht zum Sänger. Mir gehorchen die Gräser nicht und nicht die Blüten. So laß mich denn das hüten, was nicht lebt, das Uhrwerk. Die Zeit ist heran, daß sich die Elben der Wache annehmen. Ich werde an ihrer Stelle gehen. So bin ich einer der Ihren und bin es doch nicht.«

Miriam Margraf
Der Weiße Hirsch
    Dodo ließ sich erschöpft ins Gras fallen, zog vorsichtig die Wildlederstiefel von den Füßen und befühlte seine schmerzenden Sohlen. Dann tauchte er sie ins lindernde kalte Wasser der Waldquelle. Seit Sonnenaufgang war er der Spur eines Hirsches gefolgt und hatte geglaubt, der Vorsprung des Tieres verringere sich. Gegen Mittag war es ihm sogar erschienen, als sähe er das weiße Fell des kostbaren Jagdguts auf Schußweite durch das Gehölz schimmern. Doch stets war es Täuschung, das Wild scheute, ehe er darauf anlegen konnte. Jetzt neigte sich schon der Tag. Nicht die Füße allein taten Dodo weh, sämtliche Knochen meinte er zerschunden, und hungrig war er wie ein Wolf. Er zog einen Brotkanten aus der Tasche, tunkte ihn ins Quellwasser und schob ihn zwischen die Zähne. Kein Festmahl, dachte er, aber besser als gar nichts. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich auf den Rücken fallen.
    Als er so lag und gedankenverloren zum Waldessaum blickte, erschien ihm mit einemmal jene graue Silhouette vor dem Schwarz der Tannen, die er bislang für einen Felsblock gehalten hatte, als eine menschliche Gestalt. Er richtete sich auf und spähte angestrengt hinüber, denn er wußte nicht, ob er seinen Augen trauen durfte im diffusen Licht der Dämmerung. Als aber das Wesen näher kam, wich Dodo mit einem Aufschrei zurück.
    »Was ist?« fragte eine rauhe Altmännerstimme, »fürchtest du dich vor mir?«
    »Soeben noch hielt ich dich für einen Stein«, entgegnete Dodo. »Da erschrak ich, als du dich plötzlich regtest.«
    Der Alte lachte auf. »Dein Jägerblick scheint recht scharf. Bist vielleicht etwas kurzsichtig, ha?« Er grinste mit einem Anflug von Schadenfreude; um die kleinen, flinken Augen zeigten sich lustige Runzeln.
    Dodo versagte sich die Widerrede. Der Alte war wirklich schwer auszumachen, denn seine graue, säuberlich geflickte Kleidung unterschied sich farblich kaum vom Hintergrund.
    »Alonzo«, sagte er mit einer höflichen Verbeugung, »Förster. Sie gestatten, Ihren Jagdschein einsehen zu dürfen!«
    Dodo warf dem seltsam kostümierten Männlein einen befremdeten Blick zu. »Zeig mir erst mal deine Legitimation, Alterchen, ehe wir weiterreden!«
    In Blitzesschnelle hatte Alonzo eine schon arg zerflederte Lizenz aus einer der zahlreichen Rocktaschen zutage gefördert und hielt sie dem anderen hin.
    Der winkte ab. »Schon gut, verzeih, aber deine Uniform ist etwas ausgefallen.«
    »Ob ausgefallen oder nicht«, entgegnete Alonzo, »den Jagdschein!«
    Dodo wies das Papier vor.
    Der Alte prüfte genau, ob auch kein Stempel und keine Unterschrift fehlte. »Gut, gut«, sagte er schließlich und gab den Schein zurück, »wohl kein Glück gehabt?«
    Dodo planschte mißmutig im Quellwasser.
    Feixend stimmte der Alte ein Lied an:
    »Ich schwing mein Horn in Jammers Ton,
    Mein Freud ist mir verschwunden,
    Ich hab gejagt ohn Abelon,
    Das Wild lauft vor den Hunden.«
    Dabei tanzte er mit eigenartig großen und zugleich gemessenen Bewegungen um Dodo herum.
    »Närrischer Alter!« rief der in den Gesang hinein. »Muß ich mich von dir foppen lassen!«
    »Nicht von mir!« antwortete Alonzo lachend und sang weiter:
    »Ein edel Wild in diesem G’fild 
    Hab ich mir auserkoren,
    Es scheucht ab mir, als ich es spür,
    Mein Jagen ist verloren.«
    Dodo packte einen Schlammbrocken und schleuderte ihn nach dem munteren Männlein, das

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