Märchen von den Hügeln
Elb wischte sich mit der Hand über die Augen. »Was verlangst du, Tardak Aridon? Soll ich aufhören zu singen, weil du das uralte Getriebe nicht mehr zu hüten fähig bist? Das kann ich nicht.«
»So bleibt es finster.«
»Das ist unmöglich«, erwiderte der Sänger. »Meine Bäume gedeihen nicht bei Nacht. Sie alle wollen ans Licht und haben sich nur ins Innere des Berges verirrt.«
Lindo, der atemlos am Boden kauerte, erschien Adalbert jetzt nur wenig kleiner als der Elb, der vor ihm stand, den Kopf trotzig zurückgeworfen.
»Nie wollte ich Feindschaft zwischen uns«, sagte Adalbert leise und scharf, »gemeinsam schufen Elben und Zwerge die Uhr. Doch ihr, flattriges Lichtvolk, ließet die Wache im Stich und verbanntet uns unter die Erde.«
Klinger machte eine unwillige Kopfbewegung.
»Ich weiß, daß ihr das nicht gerne hört.« Adalbert trat noch zwei Schritte auf den anderen zu, womit er wiederum an Größe gewann. Sein Schatten fiel auf das Gesicht des Sängers und verdunkelte es. »Aber heute wird es enden.« Schon streckte Adalbert die Hand nach dem Elben aus.
Lindo war aufgesprungen, um zwischen sie zu treten, doch Klinger war schon ausgewichen.
Da plötzlich begann ein mächtiges unterirdisches Dröhnen. Der Boden, auf dem sie standen, zitterte. Die drei verharrten regungslos und lauschten auf die Geräusche der Erde. Tief unten war Knarren und Knirschen vernehmbar, dann ein dumpfes Grollen, als ginge irgendwo fernab eine Lawine zu Tal.
Nachdem es still geworden war, wies Klinger zum Fenster: Es begann zu dämmern.
Kraftlos ließ der Zwerg die Arme sinken.
»Wie ich sehe, arbeitet Ihr Wunderwerk wieder«, bemerkte Klinger, und seine schmalen, geschwungenen Lippen bekamen jenen Ausdruck der Ironie, den Adalbert nicht ausstehen konnte. »Wenn Sie nun die Güte hätten, mich in Ruhe zu lassen. Ich muß mich mit dem Studium meiner nächsten Partie befassen.« Er wies zur Tür.
Ohne ein Wort der Widerrede oder des Abschieds verließ der Zwerg das Haus.
Lindo sah dem Elben in die Augen. Der senkte die Lider und schloß die Tür sacht hinter ihm.
Schweigend stapfte der Zwerg neben dem Halbelben einher.
Lindo fühlte Erleichterung, als die ersten orangen Sonnenstrahlen in den Fluß tauchten, auf den man vom Kamm des Berges, wo Klingers Haus gelegen war, hinabsah. Auf dem Ufergras schimmerte der Frühtau.
Auch Adalbert spähte ins Tal. Und plötzlich, als sie an einen Platz gelangt waren, von dem man eine gute Aussicht genoß, blieb er stehen und ließ die Blicke über das Land schweifen.
Lindo, der ihn betrachtete, fiel auf, daß er sich verjüngt zu haben schien. Die tiefen, dunklen Falten waren aus dem Gesicht verschwunden und hatten nur ein paar Runzeln hinterlassen.
Der Zwerg stand aufrecht und trug den Kopf stolz auf den Schultern. »Nein«, sagte er, »ich kann euch nicht zürnen, Lichtvolk, euch nicht, euren Gesängen und eurem Leichtsinn, auch wenn ich euch nicht begreife.«
Lindo berührte seine Schulter, als müsse er ihn aus einem Traum wecken.
»Ich will nicht wieder unter den Berg zurück.« Adalbert lächelte. »Es ist schön hier oben.«
»Aber die Uhr?« fragte Lindo tonlos, kaum daß ihm seine Verwunderung noch das Sprechen möglich machte.
»Ja, die Uhr«, Adalbert atmete tief. »Ich weiß nicht.«
Das Uhrwerk war von der groben Unterbrechung doch ärger mitgenommen, als Lindo erwartet hatte.
Sie standen unter dem großen Zahnrad, dessen Welle sich in stetigem Druck gegen den Fels gestemmt hatte, bis ein Durchbruch entstanden war. Loses Gestein war herabgerieselt und gab nun einen Schacht frei, der nach draußen führte.
»Alles, was ich anpacke, will mir nur halb gelingen«, murmelte Lindo bedrückt. »Immer muß ich auf halbem Wege aufgeben. Vielleicht ist es mein Schicksal, weil ich halb Elb, halb Mensch bin.«
Der Zwerg erwiderte nichts. Er prüfte das Getriebe, das trotz des Schadens tadellos arbeitete. Plötzlich entfuhr ihm ein Ausruf der Verblüffung. Lindo eilte hinzu, und nun sah auch er: Die Bäume und Triebe, die zuvor den Gang der Uhr behindert hatten, weil sie ziellos in die Dämmerung hineinragten, rankten sich jetzt entlang der Mauer zum Lichtschacht hin und streckten die dünnen Zweige der Sonne entgegen.
»Sie alle wollen ans Licht und haben sich nur ins Innere des Berges verirrt«, zitierte Lindo die Worte des Elben. »Er hatte recht. Sieh nur!«
»Natürlich sehe ich«, entgegnete Adalbert.
Es war nicht allzu schwierig gewesen, den Schacht ein wenig
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