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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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dem Geschoß erstaunlich behende auswich.
    »Einen Greis solltest du noch treffen können!« spottete er und hörte auf zu tanzen.
    Beschämt ließ Dodo den Arm sinken, den er schon zum nächsten Wurf gehoben hatte.
    »Du bist nicht der erste Narr, der glaubt, den Weißen Hirsch erlegen zu können«, sagte der Alte unerwartet. »Er ist klüger als du, gewiß!«
    »Woher weißt du, wen ich verfolge?« fragte Dodo unwirsch, während er mühsam die Stiefel über die nassen Füße zog.
    »Gestern kam ein Rudel Hirsche zwei Meilen weiter nördlich vorbei, und das nächste Rudel spüre ich noch weitab«, erwiderte Alonzo, »du kannst kein anderes Wild meinen, wenn du heute jagst.«
    Dodo musterte sein Gegenüber schweigend.
    »Es hat dich weit fortgelockt«, fuhr der Alte fort. »Ich weiß um einige, die lange umherirrten, ehe sie den Heimweg fanden. Die Nacht wird kühl werden. Mein Haus ist nicht allzu fern. Wenn du klug bist, so nimm die Einladung an und sei mein Gast!«
    Dodo fühlte sich wohl. Draußen entlud sich ein Abendgewitter. Violette Blitze zuckten vom Himmel, der Regen trommelte aufs Dach. Die müden Füße des Jägers ruhten unter einem reich gedeckten Tisch. Sein Blick folgte den graziösen Bewegungen der
    Frau, die kurz nach Alonzos Fortgang eingetreten war, um Pilze zum Trocknen auf dem Kaminsims auszulegen. Vor dem dunklen Hintergrund wirkte sie sehr blaß. Ihr kurzes Haar war mehr weiß als blond. Um die zierliche Gestalt floß ein leichtes Seidenkleid. Sie hatte Dodos Anwesenheit mit einem kurzen Begrüßungsnicken aufgenommen und kümmerte sich nicht weiter um ihn. Fremde waren hier wahrscheinlich häufige Gäste.
    Ein Pilz fiel zu Boden. Dodo sprang hinzu, ehe sie sich bücken konnte, und hob ihn auf. Während sie sich lächelnd bedankte, sah er in ihre Augen und erschrak vor der dunkelbraunen Tiefe des Blicks. Er mußte sich abwenden, als habe er etwas Verwerfliches erschaut.
    Die Schöne lachte auf und ging.
    Vielleicht wäre ihr der Jäger gefolgt, hätte ihn Alonzos Eintreten nicht zurückgehalten. »Überrascht?« fragte der, und Dodo war sich nicht im klaren darüber, worauf die Frage sich bezog. Doch fühlte er sich ertappt und kehrte an seinen Platz zurück. Wie sie heiße, fragte er.
    »Diana«, antwortete der Alte.
    »Deine Tochter?«
    »Das nicht.« Alonzo lächelte, ohne auf Dodos Neugier zu achten.
    In der Nacht erwachte Dodo vom Licht des Vollmonds, der in sein Fenster schien. Er erschrak vor dem eigenen Schatten an der Wand. Seine Müdigkeit war auf einmal wie fortgeblasen, Unruhe befiel ihn.
    Die Wiese vor dem Haus lag taubeglänzt im fahlen Licht und lockte ihn, den Fuß in das silbrige Naß zu setzen.
    Er streifte sich Wams und Hosen über und schlich hinaus. Kaum war er vor die Tür getreten, gewahrte er ein großes äsendes Tier, das ihn nicht sofort bemerkte, weil der Wind die Witterung forttrug. Es war eine Hirschkuh, kräftiger als jedes Hochwild, das der Jäger jemals zu Gesicht bekommen hatte. Ihr Fell leuchtete weiß.
    Dodo schlich zurück ins Haus und ergriff seine Waffe. Für die Dauer eines winzigen Augenblicks fühlte er ein unbestimmtes Widerstreben, doch schließlich siegte der Ehrgeiz, die Trophäe zu

    besitzen. Er lud, spannte den Hahn und näherte sich der Beute so weit, daß er sie kaum verfehlen konnte.
    Plötzlich zuckte das Tier und wandte die großen, dunklen Augen nach ihm. Gleichzeitig schlug ihm jemand das Gewehr aus der Hand, so daß der Schuß über den Kopf der Hirschkuh hinweg ins Leere gelenkt wurde. Das Wild sprang geräuschlos durchs Unterholz davon.
    Alonzo gab dem Jäger die Waffe zurück. Seine kleinen Augen funkelten zornig. »Wer hat dir erlaubt, auf meinem Grund und Boden herumzuschießen? Bist du verrückt?«
    Dodo war wie gelähmt vor Schreck. »Ich. . ., ich wollte nicht.. .«
    »O doch, den Weißen Hirsch wolltest du haben«, fauchte Alonzo. »Aber laß dir gesagt sein: Wage kein zweites Mal, auf ihn anzulegen, weder hier noch draußen im Wald, wo er ungeschützt ist. Mach dir seine Hüter nicht zu Feinden.«
    Daß er den Tag nicht verlöre, hatte Alonzo seinen Gast vor Sonnenaufgang geweckt. Dodo war unbehaglich zumute. Verdrossen mümmelte er an einer Waffel und sann darauf, das Haus des Waldhüters so bald wie möglich zu verlassen. »Ich glaube, es ist am besten, gleich aufzubrechen«, sagte er und erhob sich rasch.
    Alonzo grinste und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. »Wenn du den Weg kennst.«
    Dodo vernahm einen bissigen

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