Märchen
Küsters, und die antwortete: ›Ich verzeihe dir, wenn Gott dir verzeiht.‹ Im selben Augenblick fiel Rupp Rüpel zusammen und war nur noch ein Häuflein Asche. Aber die Magd vom Pfarrhof war von da an nicht mehr ganz richtig im Kopf«, sagte Großmutter. »Na, kein Wunder«, sagte mein Bruder.
In Großmutters Häuschen gab es nur ein Zimmer und die Küche, aber darüber war noch ein kleiner Dachboden. Dort oben verwahrte Großmutter alle möglichen seltsamen Dinge, und fast immer, wenn wir bei ihr waren, kramte sie irgendwas hervor, das sie uns schenkte. Auch jetzt, nachdem wir Rupp Rüpels Geschichte zu Ende gehört hatten, verschwand sie nach oben. Eine Weile später kam sie mit einer alten Gitarre zurück, die sie meinem Bruder schenkte, und ich kriegte einen dicken Band gebundener Zeit-schriften mit vielen Bildern. Als ich ihn anhob, spürte ich, wie schwer er war. Aber Großmutter stopfte ihn in einen Sack und band ihn mir mit einem Strick auf dem Rücken fest. Wirklich eine gute Idee, denn jetzt war es keine Kunst mehr, ihn zu tragen!
»Aber jetzt müßt ihr euch beeilen, damit ihr zu Hause seid, bevor es dunkel wird«, sagte Großmutter. Und da machten wir, daß wir wegkamen; denn es war November und wurde früh dunkel.
Wir sagten also danke schön und auf Wiedersehen und waren auch schon zur Tür hinaus, ehe Großmutter nur blinzeln konnte.
»Wir gehen über den Berg«, sagte mein Bruder, und er bestimmte natürlich, wie gewöhnlich. Es führte nämlich ein schmaler, holpriger Weg unten am Hang entlang, den vernünftige Leute benutzten, und den hätten wir auch nehmen sollen, wenn wir nur unsern Grips gebraucht und daran gedacht hätten, noch bei Tageslicht heimzukommen. Aber mein Bruder wanderte, vergnügt auf der Gitarre klimpernd, voran, und ich natürlich hinterher, denn ich folgte meinem Bruder durch Feuer und Wasser, wenn es sein mußte. Oben auf der Höhe wand sich ein kleiner Pfad zwischen Fichten und Kiefern hindurch. Wie durch eine Säulenhalle ging man dort. Geheimnisvoll und herrlich war es sonst hier oben, doch jetzt, so im Dämmerlicht, fand ich es ziemlich gruslig.
Außerdem wurde ich langsam müde. Der Sack war schwer, und ich wünschte mir nur, wir wären schon zu Hause. Ich konnte nicht so schnell gehen wie mein Bruder, und nach und nach blieb ich zurück. Schließlich war er mir schon ein gutes Stück voraus, merkte es aber nicht. Er spielte nur munter drauflos.
Endlich entdeckte er, daß ich nicht mehr dicht hinter ihm war, und rief:
»Was ist los? Ist der Sack zu schwer? «
Und da rief ich ihm zu - ja, ich schaudere, wenn ich nur daran denke -, ich rief also:
»Ja, er ist so schwer. Lieber würde ich Rupp Rüpel schleppen!«
Oh, wie konnte ich nur so etwas Schreckliches sagen! Warum hatte ich das bloß getan? Gespenster kamen, wenn man sie rief und sie beim Namen nannte, das wußte ich doch! Wie konnte ich nur so dumm sein? Jetzt kam er bestimmt angeschlichen, hier zwischen den Kiefern, Rupp Rüpel, das grausigste Gespenst in ganz Småland.
Jeden Augenblick konnte er hier auftauchen und mit seiner
schaurigen Gespensterstimme rufen:
»So, du willst mich also tragen? Das kannst du haben!«
Ich versuchte nach meinem Bruder zu schreien, aber er hörte mich nicht. Er spielte ja, so laut er konnte, auf der Gitarre.
Wir waren jetzt auf dem Weg bergab. Dort am Ende des Hanges stand ein dichtes Gebüsch von Haselsträuchern, durch das wir hindurch mußten, um auf die Landstraße zu kommen. Diesem Gebüsch hatten wir einen besonderen Namen gegeben, mein Bruder und ich. »Hain des Heimwehs« nannten wir dieses Gehölz, wieso, wußten wir nicht, wir fanden, es klang so schön.
Jetzt sah ich meinen Bruder im Heimwehhain verschwinden, und mir war so einsam und bange zumute, und ich fühlte mich so verlassen wie sonst niemand auf der Welt. Ich konnte keinen einzigen Schritt mehr tun. Aber ich wußte, ich wußte ja, daß Rupp Rüpel hier irgendwo im Dunkeln lauerte. Ich mußte meinen Bruder einholen. Er war dort drinnen im Haselgebüsch. Ich hörte ihn spielen, und weinend und keuchend stolperte ich ihm nach, hinein in den Heimwehhain. Und da kriegte mich Rupp Rüpel zu packen, ja, das tat er. Mit seinen Gespensterhänden griff er von hinten nach mir und hielt mich fest. Ich schrie, aber er ließ mich nicht los, oh, ich schrie so, daß mir das Blut in den Adern gefror. Jetzt war es aus mit mir, das wußte ich, jetzt gab es keine Rettung mehr.
Doch manchmal geschehen Wunder.
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