Märchen
einem furchtbar schönen Schloß, zusammen mit ihrem Papa, dem König, ihrer Mama, der Königin, hundert Hofdamen und ebenso vielen Hofherren. Kinder gab es im ganzen Schloß nicht, denn Lise-Lotta hatte keine Geschwister, und die Königin dachte, es gehöre sich nicht, eine kleine Prinzessin mit Kindern spielen zu lassen, die nicht Prinzessinnen oder Prinzen waren. Und da Lise-Lotta niemals andere Kinder gesehen hatte, so glaubte sie, es gäbe auf der ganzen Welt nur große Menschen und sie selbst, die klein war.
Manchmal versuchte eine der Hofdamen, mit Lise-Lotta zu spielen. Aber das fand Lise-Lotta richtig langweilig, und dann setzte sie sich auf einen Stuhl und schwieg.
Das Schloß lag mitten in einem großen Park, und rund um den Park war eine hohe Mauer. Sie war von herrlichen Rosen überwuchert, aber es blieb doch eine Mauer, und man konnte nicht sehen, was draußen war. Natürlich gab es ein großes, prächtiges Portal in der Mauer mit hohen Gittertoren, die jedesmal geöffnet und wieder geschlossen wurden, wenn der König in seiner goldenen Kutsche mit den sechs weißen Pferden davor ausfuhr. Aber am Portal hielten immer die Soldaten des Königs Wache. Deshalb mochte Lise-Lotta nicht dort hingehen, denn sie war ein bißchen schüchtern.
Aber ganz weit hinten im Park hatte die Prinzessin eine kleine Gittertür in der Mauer entdeckt. Dort hielten keine Soldaten Wache, denn die Tür war verschlossen, und der Schlüssel hing ordentlich an einem Haken daneben. Oft, sehr oft stand die Prinzessin an der kleinen Tür und sah hinaus.
Und eines Tages geschah etwas Merkwürdiges. Als die Prinzessin wieder zu der Tür kam, sah sie, daß dort draußen ein Mensch stand, der nicht ein bißchen größer war als sie selbst. Es war ganz einfach ein kleines Mädchen, das dort stand, genau so ein kleines Mädchen wie die Prinzessin. Obwohl sie natürlich kein Seidenkleid wie Lise-Lotta anhatte, sondern nur ein kariertes Baumwollkleid.
Lise-Lotta war sehr erstaunt.
»Warum bist du so klein?« fragte sie.
»Ich bin ja wohl nicht kleiner als du«, antwortete das Mädchen, das übrigens Maja hieß.
»Nein, das sehe ich«, sagte Lise-Lotta, »aber ich dachte, daß nur ich klein bin.«
»Ich finde, wir sind beide ziemlich groß«, sagte Maja. »Da solltest du mal meinen Bruder zu Hause sehen, der ist nur so groß.« Maja zeigte mit beiden Händen, wie klein er war. Lise-Lotta freute sich ganz furchtbar darüber, daß hier jemand war, der genauso klein war wie sie selbst. Und obendrein gab es welche, die noch viel kleiner waren. »Mach mir die Tür auf, dann können wir spielen«, schlug Maja vor. »Nein, nein«, sagte Lise-Lotta, »spielen ist das Entsetzlichste, was ich kenne. Spielst du denn?«
»Das kannst du glauben! Ich spiele immer, immer und immer«, sagte Maja. »Mit meiner Puppe hier.«
Sie hielt etwas hoch, was eher aussah wie ein Stück Holz mit einigen Lappen darum. Es war eine gedrechselte Holzpuppe.
Vor langer Zeit hatte sie einmal ein Gesicht gehabt, aber jetzt war die Nase ab, und die Augen hatte Maja selbst wieder mit Buntstift angemalt. Lise-Lotta hatte eine solche Puppe noch nie gesehen. »Sie heißt Pia«, erklärte Maja. »Und sie ist so lieb.«
Vielleicht, dachte Lise-Lotta, kann man mit Pia besser spielen
als mit anderen Puppen. Aber egal, Hauptsache, sie war mit jemandem zusammen, der nicht größer war als sie selbst. Lise-Lotta stellte sich auf die Zehenspitzen, nahm den Schlüssel vom Haken und öffnete Maja die Tür.
In diesem Teil des Parkes wuchsen große Fliederbüsche. Die Mädchen waren wie in einer Laube, wo niemand sie sehen konnte.
»Schön«, sagte Maja. »Wir spielen, daß wir hier wohnen. Wir spielen, daß ich die Mama bin und du das Dienstmädchen, und Pia ist das kleine Kind.«
»Aha«, sagte Lise-Lotta.
»Aber du kannst natürlich nicht Lise-Lotta heißen, wenn du das Dienstmädchen bist«, sagte Maja. »Ich werde dich einfach Lotta nennen.«
»Aha«, sagte Lise-Lotta.
Und dann fingen sie an. Zuerst war es etwas schwierig, weil Lise-Lotta nicht wußte, was ein Dienstmädchen zu tun hat oder wie man mit kleinen Kindern umgeht. Trotzdem - sie lernte es.
Vielleicht ist es doch ganz lustig zu spielen, dachte die Prinzessin.
Nach einer Weile wollte die »Hausfrau« in die Stadt gehen, um Lebensmittel einzukaufen.
»Lotta, Sie fegen jetzt den Fußboden«, sagte sie und sah energisch aus. »Und vergessen Sie nicht: Pia muß um zwölf ihren Brei haben.
Und wechseln Sie die
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